Ein Ort für Zen und Plastik

Der bildende Künstler Wolfgang Semmelrock agiert von einem Objekt in der Simmeringer Industriezone aus. Für ihn hat das etwas von Chicago.

Es braucht ein bisschen, um das Atelier von Wolfgang Semmelrock zu finden. Fürs Erste darf man sich in den Altsimmeringer Haidequerstraßen nicht verzählen – es gibt nämlich zig davon. Dann muss man das richtige Tor finden. Schließlich den Ladehof überqueren, auf die Lastwagen und die Stellagen des bekannten Rohrerzeugers achten, vorbei an einer schönen alten Backsteinarchitektur marschieren und dann in einem Siebzigerjahrebau die Stiegen in die sonnigen Räumlichkeiten in der oberen Etage hinaufsteigen. „Das war früher ein Bürohaus“, empfängt einen Wolfgang Semmelrock, der im Vorjahr sein Atelier hierher verlegt hat, nachdem er mehrmals mit seinen Requisiten und Arbeitsmaterialien quer durch Wien gezogen ist. Bislang immer in Objekte, die zur Zwischennutzung, also meist zeitlich sehr begrenzt, angeboten wurden. Zuletzt arbeitete er in einem großen alten Fabriksgelände in der Odoakergasse in Ottakring an den unterschiedlichsten Dingen, die ihn beschäftigen: den aufblasbaren Objekten bzw. Möbeln, den zeninspirierten Performances („One Stroke“), den abstrakten Malereien, den Kalligrafien, den Installationen. Wenn man weiß, dass man nicht lange bleibt, packt man auch gar nicht alles aus. Hier aber schon – die Bibliothek, die Schallplatten, die noch aus seiner Zeit als Electro-DJ in den 1990er-Jahren stammen, die Farben.

Und das Lager, in dem sich transparenter Kunststoff stapelt, denn der Einstieg in die Kunst erfolgte bei Semmelrock aus dem Architekturstudium heraus: „Ich bin über die Pneumatik dazu gekommen. Ich hab begonnen, nur noch aufblasbare Kunst zu machen.“ Seit Jahren läuft vieles parallel: „Die Malerei und die aufblasbaren Objekte“, ein Beispiel für Letztere sieht der Gast in der „AufBlasBar“ am Yppenplatz in Wien-Ottakring, die Flügel am Würstelstand Bitzinger neben der Oper hingegen waren temporär.

Kunst in der Industriezone

Die Dynamik von Gentrifikation kennt Semmelrock ziemlich genau. Zu einem guten, noch leistbaren Moment entschloss er sich, die Hütte mit der Aufblasbar zu erwerben und später zu verpachten. „Ein echter Glücksfall damals, das gibt es heute nicht mehr.“ Und wie schnell frühere Arbeiter- und spätere Künstlerviertel letztlich von Investoren vereinnahmt werden, kennt er aus den USA, wo es ihn regelmäßig hinzieht, nach San Francisco, New York und vor allem Chicago, wo er in der Kunstszene stark verankert ist. „Normalerweise geht es in Amerika sehr schnell, dass in einem boomenden Viertel die Preise um das Dreifache steigen. Aber sogar in den Vororten von Chicago, in den alle Architekten und Kreative hingezogen sind, haben sich die Preise in den letzten zwei Jahren nicht einmal verdoppelt. Das bedeutet, dass auch in Amerika der Immobilienmarkt wirklich am Boden ist.“

Täglich kommt Semmelrock hierher in das Industrieumfeld am Stadtrand, um zu arbeiten: in ein lichtes, gemütliches Büro, in dem er recherchiert und am theoretischen Unterbau arbeitet, und in den Atelierraum nach Osten, wo manchmal die Farben herumspritzen und Werke warten, die im internationalen Kunstbetrieb Anklang finden. Zufällig hat er diesen Ort unter den Schloten der Wien Energie gefunden – auf Immoseiten im Internet –, ein Zufall wollte es auch, dass sich hier zwei weitere Kollegen aus der Kunstszene niedergelassen haben. Und ist es auch nicht so spooky abends wie an der früheren Fabriksadresse.

ZUR PERSON

Wolfgang Semmelrock lebt und arbeitet in Wien und Chicago. Seine Arbeiten entstammen unterschiedlichsten Bereichen: Bekannt sind seine „One Strokes“ und aufblasbaren Objekte (z. B. aktuell Lotusblumen in Warmbad Villach). Stark ist der Einfluss von asiatischer Kunst (Kalligrafie) und Zen auf die Arbeit, vieles fließt spontan in Performances ein. Semmelrock arbeitet unabhängig vom Kunstbetrieb. Seine Arbeiten sind international zu sehen. www.saatchiart.com/semmelrock,

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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