„Auf dem Land leben und die Arbeit gleich mitbringen“

Aufs Land! Projekte für Arbeiten und Wohnen abseits der Städte.

Saubere Luft, Ruhe, Natur pur – vom Landleben träumen viele Großstädter, freilich scheitert dieser Wunsch oft an den langen Anfahrtswegen zu Arbeitsplätzen in den Ballungszentren. Für eine Reihe von Berufsgruppen werden aber angesichts der rasanten Entwicklung der Telekommunikation alternative Wohn- und Arbeitsformen weitab der Städte realistischer: Insbesondere Freiberufler und Kreative, deren Abhängigkeit von einem fixen Arbeitsplatz gering ist, zieht es aufs Land. Hand in Hand damit geht ein neuer Trend der ländlichen Regionen: Sie entdecken, dass die Großstädter unerfreuliche Entwicklungen wie Landflucht oder Überalterung stoppen könnten und setzen auf Angebote für Zuzugswillige.

Dort, wo die „Creative Industries“ – also Berufe, die künstlerisch-kulturelle Komponenten mit wirtschaftlichem Interesse verbinden – eine lange Tradition haben, entstanden die ersten Projekte: So existiert etwa in der schottischen Grafschaft Sutherland eine Region, die sich seit vier Jahren auf Kreative spezialisiert.

„Arbeit mitbringen“

Auch in Österreich umfasst der kreativwirtschaftliche Sektor inzwischen schon rund 30.000 Unternehmen mit 100.000 Beschäftigten und ist eine wachsende Zielgruppe für Gemeinden wie etwa Pölla im Waldviertel: In der 1045-Seelen-Gemeinde, rund 100 Kilometer nordwestlich von Wien, soll bei entsprechendem Interesse ab dem nächsten Jahr im Ortsteil Neupölla ein für Kreativschaffende konzipiertes Projekt entstehen. „Landgemeinden müssen sich im Wettbewerb der Regionen als attraktive Bräute präsentieren“, sagt Bürgermeister Johann Müllner. „Die Abwanderungstendenz in die Großstädte ist groß, Arbeitsplätze sind rar. Umso wichtiger sind Pilotprojekte wie ,Wohnen und Arbeiten in Pölla' – gedacht für Menschen, die auf dem Land leben wollen und ihre Arbeit gleich mitbringen.“

Schon bisher sind viele Kreative im Wald- oder Weinviertel ansässig geworden, nicht zuletzt aus monetären Gründen. Alte, günstige Häuser gibt es zuhauf, die Grundstücke sind billig. „Die Grundstückspreise in Neupölla liegen bei sieben Euro pro Quadratmeter. Zum Vergleich: In Ebergassing bei Schwechat kostet ein Quadratmeter 170 Euro,“ rechnet Walter Staudinger, Regionaldirektor bei Wüstenrot, vor, der die Vermarktung von Neupölla übernehmen wird.

Chance Breitband-Internet

„Man muss die Dörfer aufwecken,“ sagt Soziologe Franz Nahrada, der als wissenschaftlicher Leiter der „GIVE Forschungsgesellschaft – Labor für Globale Dörfer“ vor allem durch den Ausbau des Breitband-Internet Entwicklungschancen für ländliche Gebiete sieht. Vorzeigeprojekt ist das Örtchen Kirchbach rund dreißig Kilometer südöstlich von Graz, wo seit 2004 fünf Kreative und Freiberufler alternative Lebens- und Arbeitsformen pflegen. Sie erwarben gemeinsam ein altes, geräumiges Gerichtsgebäude und renovierten es um 1,5 Millionen Euro zum Multifunktionshaus, in dem Büros und Servicestellen ebenso zu finden sind wie ein „Bildungsstockwerk“, Gastronomie und ein Mini-Hotel. Das nächste Experiment, im steirischen Dorf Wildalpen, hat Nahrada, einer der geistigen Väter des Projekts, schon im Auge. Für ihn ist der Zugang zu Bildung der Auftakt zu einer neuen Phase der Dorfentwicklung. Und die Voraussetzung, dass solche Projekte funktionieren ist „die Revitalisierung des Dorfes, die auch virtuell sein kann.“

Scheinen sich die Begriffe Stadt und Land aufzulösen? Erich Raith, Architekt des Projekts Neupölla: „Stadt ist vielleicht überall dort, wo es schnelles Internet gibt, denn dichte und komplexe Kommunikation ist mit Stadt gleichzusetzen.“

INFOS.

Kreativwirtschaft in Österreich: Der Sektor umfasst etwa 30.000 Unternehmen mit rund 100.000 Beschäftigten. 2004 erwirtschafteten sie Erlöse und Erträge in der Höhe von 18,3 Milliarden Euro – eine dreiprozentige Steigerung gegenüber 2002. Die Bruttowertschöpfung liegt laut dem zweiten österreichsichen Kreativwirtschaftsbericht der WKO bei 7,2 Milliarden Euro.

Projekte:
Neupölla: www.nonconform.at, www.poella.at
Kirchbach: www.give.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2007)

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