Inspirationsquelle: Taxler-Cafés, Espressos und Stüberln

Grätzelgeschichte. Kabarettist, Autor und Musiker Clemens Haipl wohnt im zweiten Bezirk und schreibt viel im neunten.

Manchmal sitzt Clemens Haipl im D'Landsknecht in der Porzellangasse, einem „der letzten richtigen Wiener Wirtshäuser“, wie er in seinem neuen Buch „Fifty Shades of Wien“ schreibt. Weil einen dort trotz der dunklen Vertäfelung keinerlei Früher-war-alles-besser-Anwandlungen überkommen. Weil es einen Raucherraum mit Fernseher gibt. Und weil Stammgäste einen Hinzugekommenen irgendwann einmal mit einem einzigen Satz in den Kreis ihresgleichen aufnehmen. Man muss das nur aussitzen.

Ritterburg und Brooklyn

Der Autor, Kabarettist, Musikproduzent, Zeichner und langjährige Projekt-X-Macher bei FM4 sucht meist am Abend Lokale auf, um dort zu arbeiten: In aller Ruhe komische, realsatirische Texte in den Laptop tippen, unbeeindruckt von den Leuten, noch weniger vom Styling oder dem Image eines Lokals. Möglichst unhip soll das gastronomische Umfeld sein und nicht allzu weit weg vom Zuhause, das zwischen dem Augarten und der Rossauer Kaserne liegt.

Diesen monumentalen Ziegelbau, einst zur Einschüchterung des Proletariats errichtet, erklärt Haipl seinen Kindern übrigens als „Ritterburg“. Und dass im Umkreis der Kaserne Polizei oder Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport ihre Quartiere haben, scheint nur die Lebensqualität seiner Wohnadresse zu steigern: „Ich schlafe deutlich ruhiger, seit ich weiß, dass irgendwo in der Republik jemand rhythmische Gymnastik oder Eisstockschießen zu meiner Sicherheit trainiert.“

Um von der heimatlichen Leopoldstadt in das Servitenviertel im neunten Bezirk hinüberzustechen, marschiert Haipl fast jeden Tag über die Rossauerbrücke, seltener in Richtung Augarten. Für ihn, der lang in der Nähe der Praterstraße gewohnt hat, ist Transdonaukanalien Neuland, das erkundet und textlich verarbeitet wird: Durchaus mit Fantasie, wenn Haipl die mit Graffiti verzierten Kaiwände als jenen Teil Wiens beschreibt, „an dem es noch am ehesten nach Brooklyn und Gangsta aussieht“. Wobei die im Gras über Skripten brütenden Studenten und die Altherrenpartie beim Angeln einen schönen Kontrast dazu bilden. Und Kontraste mag er bei der Auswahl von Locations, Gebäuden und Atmosphären.

Planquadrate und Plaver

Nicht immer sind es gestandene, sehr gut beleumundete Gasthäuser in Gründerzeitgebäuden wie eben das D'Landsknecht oder auch der Friedensrichter in der Oberen Donaustraße. Haipl arbeitet nicht so gern zu Hause, wo überdies Synthesizer und Mischpulte stehen, weil er (vor allem im Ausland viel beachteten) Elektropop produziert.

Sein zielgruppenaverses Verhalten führt ihn in Räumlichkeiten, in denen es ein schweigendes Einverständnis mit den Stammgästen und der Bedienung gibt, dass man sich in Ruhe lässt, notfalls die Musik das Palaver an der Theke übertönt, aus dem dort und da originelle Wortfetzen auffallen.

Eine solche Atmosphäre findet Haipl dann in pragmatischer eingerichteten „Taxler-Cafés, Espressos und Stüberln“, die so funktionell wie Treffpunkt (in der Berggasse), oder so vielversprechend wie Planquadrat (in der Türkenstraße) heißen, wobei Letzteres tatsächlich so mancher Exekutivbeamte schätzt.

Bürgerlichen Arealen geht Haipl freilich nicht aus dem Weg, mitunter verschlägt es ihn sogar ins Rochus unweit des Lycee. Und auch die Servitengasse wird geschätzt, weil sie so aussieht, „wie sich Touristen Good Old Europe“ vorstellen. Halt mit Kopfsteinpflaster, kleine Geschäften, „und man rechnet jede Minute damit, dass Salieri um die Ecke biegt und über Mozart flucht“.

ZUR PERSON, ZUM ORT

Clemens Haipl und Herbert Knötzl (Projekt X) kommentieren heute den Song Contest live in der Pratersauna. Haipl spielt am 2. 6. mit Rudi Ehrenreich „Weltrekord in Busen“ in der Kulisse. Auch das neue Buch verortet Wiener Alltag: „Fifty Shades of Wien“, www.metroverlag.at

1090 gehört zu den Bezirken mit Preisen über dem Wiener Durchschnitt: z. B. Eigentumswohnungen mit 4931 €/m, Mieten bei 14, 49 €/m2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2015)

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