Barrierefreies Bauen: "Solche Wohnungen sind nachhaltiger"

Bei behindertengerechten Wohnungen besteht nach wie vor Nachholbedarf.
Bei behindertengerechten Wohnungen besteht nach wie vor Nachholbedarf. (c) Clemens Fabry
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Bei behindertengerechten Wohnungen besteht nach wie vor Nachholbedarf. Die zusätzlichen Baukosten sind marginal, und auch Unversehrte können mittelfristig davon profitieren.

Vergangene Woche boten im siebenten Bezirk einige Architekten ein absonderliches Bild: Fest verschnürt in einer Art Lederkorsett und mit dunkler Brille vor den Augen bewegten sie sich langsam und mühsam über den Siebensternplatz. Die Menschen kamen nicht aus einem SM-Klub. Sinn der Übung war es, interessierten Planern bewusst zu machen, wie schwer gebrechlichen Menschen das Fortbewegen fällt.

Initiiert wurde das Selbsterfahrungstraining mit dem speziellen Alterssimulationsanzug vom Wiener Architekten Winfried Schuh. Er engagiert sich seit 25 Jahren für Nachhaltigkeit in der Architektur: „Dazu gehört auch barrierefreies Bauen“, sagt er und hat deshalb mit seiner Organisation hausverstand.com eine Reihe von Aktionen zu diesem Thema gestartet. Eine Maßnahme ist es, Planern mit fachlicher Beratung unter die Arme zu greifen. Zwar nimmt das Thema heute in der Ausbildung von Architekten und Baumeistern breiten Raum ein. Aber bei der älteren Planergeneration gibt es durchaus noch Nachholbedarf. Niemand weiß das besser als Klaus Voget, Präsident der OEZIV – Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen. Der pensionierte Richter ist nach einem Autounfall vor 49 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen und überzeugt, dass etliche Architekten alles andere als Barrierefrei-Experten sind: „Da wird so manches falsch gemacht.“ So freute er sich einmal über ein auf den ersten Blick behindertengerechtes Badezimmer. Aber der Zugang zur Dusche erfolgte über eine Glastür, die nicht behindertengerecht war, „außerdem hatte die Dusche keine Sitzgelegenheit – unmöglich für mich“, erzählt er.

Noch zu wenig Wohnraum

Gemischt beurteilt Voget das Wohnungsangebot für Menschen mit Behinderung: „In den größeren Städten, wo öffentlicher Wohnbau betrieben wird, ist schon einen Teil der Wohnungen barrierefrei. Auf dem Land findet man mit Behinderung aber kaum eine passende Wohnung.“ Bei Neubauten sollten heute zumindest alle Zugänge zu den Wohnungen barrierefrei sein. „Schließlich will man als Behinderter auch einmal seine Freunde besuchen“, sagt Voget. In vielen Häusern ist das aber nach wie vor fast unmöglich: „Da helfen einzig kräftige Herren, die einen über die Stiegen hinauftragen, das ist aber nicht ungefährlich“, erzählt der Behindertensprecher.

An vorbildlichen behindertengerechten Wohnbauten fallen Voget in Wien Projekte auf den Asperngründen ein. Schuh nennt als erwähnenswertes Beispiel die Sargfabrik in Liesing. Im Westen Österreichs hat sich die Salzburg Wohnbau, eines der größten Wohnbauunternehmen des Bundeslandes, auf dieses Thema spezialisiert: „Der Bedarf in diesem Bereich ist groß und wächst ständig“, sagt Geschäftsführer Roland Wernik. Das Unternehmen baut heute einen großen Teil der Wohnungen behindertengerecht. Mehrkosten sind kein Thema, sagt Wernik: „Das bewegt sich im einstelligen Prozentbereich und wird teilweise auch durch die Wohnbauförderung abgedeckt.“ Mehr Aufwand sei allerdings bei der Planung erforderlich, sagt er.

Das Wohnbauunternehmen hat daher eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung eingerichtet, die sich unter anderem mit jenen Anforderungen befasst, die Menschen mit besonderen Bedürfnissen an ihre Wohnumgebung stellen. Für Personen mit Lungenproblemen etwa wird jetzt in einem Versuchsobjekt die Auswirkung einer kontrollierten Wohnraumlüftung auf die Luftqualität und damit das Atmen geprüft.

Barrierefreie Wohnungen finden aber auch Zuspruch bei Menschen, die noch keine Behinderung haben: „Solche Wohnungen sind sowohl ökonomisch als auch sozial nachhaltiger. Umbauen im Alter kostet schließlich viel Geld, ein Umzug ist für die Betroffenen ein soziales Dilemma“, betont Schuh.

WAS SIE WISSEN SOLLTEN ZUM THEMA BARRIEREFREIHEIT

Tipp 1

Barrierefrei. In heute errichteten Wohnbauten sollten zumindest die Zugänge zu Wohnungen barrierefrei gestaltet sein. Was das bedeutet, regelt eine eigene Norm, die ÖNORM B1600. Vereinfacht dargestellt heißt barrierefrei, dass ein Bauwerk auch für Menschen im Rollstuhl problemlos zugänglich sein muss. Der Eingangsbereich sollte also entweder eben oder über Rampen erreichbar, die Gänge und Türen innerhalb des Hauses entsprechend breit sein. Ähnliches gilt für alle Einrichtungen der Wohnung wie beispielsweise die Dusche und das Bad.

Tipp 2

Das Wohnangebot. Ein Unfall beim Sport oder im Verkehr, ein Schlaganfall und plötzlich ist man auf den Rollstuhl angewiesen. Oder es stellen sich einfach altersbedingt Gebrechen ein. Eine barrierefreie Wohnung zu finden, ist nicht immer leicht. In Wien präsentiert das Wohnservice (www.wohnservice-wien.at) alle Projekte für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. In den Bundesländern sind es oft einzelne Genossenschaften wie die Wohnbau Salzburg, die passenden Wohnraum anbieten (www.salzburg-wohnbau.at).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2015)

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