Die Quadratur der Küche

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Der Herd im Wohnzimmer, der Backofen im Schrank, die Spüle in der Insel. Ein Besuch bei der Eurocucina zeigt: Küchenästhetik heißt heute kubistische Reduktion.

Wir kochen weniger, genießen mehr im Restaurant und wollen dennoch auf die eigene Küche als Ort geselliger Zusammenkunft nicht verzichten so die Annahme. Die internationale Küchenwelt macht sich über unser kochbeschürztes Verhalten Gedanken und präsentiert im Zweijahrestakt auf der Eurocucina während der Mailänder Möbelmesse ihre Lösungen. An wohnungsgroßen Ständen auf dem Messegelände Rho und an ausgefallenen Locations im Stadtzentrum. Da wie dort wächst die Küche sukzessive in den Wohnraum.

Da wie dort schnippeln, rühren und kochen Schauköche auf und verwandeln die Messe-küchen in erlebbare Wohnwelten. Da wie dort probiert, gustiert, fotografiert das (design-)hungrige Publikum. Lange Tafeln mit vielen Stühlen bestimmen die Wohn-Esszimmer. Vereinzelt bestücken Glasvitrinen für Geschirr oder reifende Rinderrippen im Dry Ager, wie etwa bei Team7, den Raum. Ansonsten: schlafzimmerähnliche Schrankwände, die an die Decke reichen und den Backofen verhüllen, oder flexible Funktionsscheiben vor erleuchteten Wänden eine Novität bei Bulthaup , die Gewürz und Co. hinter dem Schrank verstecken. Oder hervorholen. Je nach Belieben. "Es geht um die Atmosphäre", sagt Bulthaup-Sprecherin Kathrin Mühlhofer vor der Kirche San Carpoforo in Brera, wo Besuchende die neuen Funktionsscheiben verschieben, über Arbeitsplatten streicheln oder an der langen Tafel unter mit Japanpapier verkleideten Leuchten (alles Bulthaup) ein Gläschen Vino trinken. Danach den Espresso. Wir sind in Italien.

Kubistisch. Die diesjährigen Küchen sind äußerst minimalistisch, kubistisch und industriell. Poliert, mattiert, gebürstet oder geölt. In gedeckten Farben und in-
direkt beleuchtet. Aus Holz, Stein, Edelstahl oder Glas. Nur in Ausnahmefällen greift ein Küchenentwurf zu ornamentaler Opulenz unterm Kristallluster. Ansonsten stört kein Griff oder Schnörkel die glatte Küchenoptik, einzig der Wasserhahn, ein einsamer Schwanenhals, gibt an: Hier findet Küche statt. Die ebene Manier wirkt ein wenig kühl und steril, primär eröffnet sie aber ein Ratespiel: Was verbirgt sich dahinter? Ist es die Lade, die durch leichten Druck herausgleitet? Oder der Geschirrspüler, den man mit sanftem Klopfen aus dem Quader hervorlockt?

Ausgerechnet zwei oberösterreichische Unternehmen haben das Versteckspiel im Kubus perfektioniert: Der Arbeitsplattenspezialist Strasser kleidet seine Kücheninseln "St-One" in Naturstein aus Brasilien, China oder Indien. Blank poliert oder im Lederlook wirken sie wie massive Mono-lithe, deren Inneres dann doch Herd und Spüle birgt. Die puristischen Küchenästheten von Steininger Designers setzen ihre mit dem German Design Award 2016 geadelte Küche "Rock" eine Hommage an Donald Judd und Adolf Loos an die frische Luft: "Rock Air" sind Küchenkuben aus anthrazitfarbenem Edelstahl und Nanobeschichtung aus Glaskeramik, die auch bei 20 Minusgraden in der freien Natur noch Kochvergnügen versprechen. Samt Gaskochstelle, Geschirrspüler und Gefrierelement. Etwas Leichtigkeit im rechten Winkel, ein kleines Aufatmen im Reigen der gediegenen Großküchen, kommt aus Südtirol. Jokodomus kreiert mit "CunKitchen" modulare, rollende, teilweise offene Edelstahlkuben. Für den Barbecue im Garten oder im Wohnzimmer am besten auf der Teppanyaki-Platte.

Unsichtbar. Doch nicht nur die Anmutung der Küche ist geprägt von der Kunst der Reduktion, auch die Gerätewelt bewegt sich in diese Richtung. Miele proklamiert in Mailand anhand einer Installation ein Kochkreis, der vom Einkauf bis zum Abwasch reicht die unsichtbare Küche. Sie berät und hilft beim Kochen. "In der Küche der Zukunft müssen keine Zutaten mehr abgewogen werden. Das Gewicht wird auf einer gläsernen Oberfläche, die zugleich Kochfeld ist, angezeigt", sagt Miele-Sprecher Michael Prempert. Es ist die Idee eines lernenden Assistenten, mit dem wir mittels Gesten oder Stimme kommunizieren werden. Dass die Miele-Küche bereits mit einem Bratsensor die Temperatur beim Steakbraten konstant halten kann, ist da nur die Basis. Prempert: "Es ist eine Zukunftsvision mit der Perspektive auf zehn bis zwanzig Jahre."

Eine unerwartete Küchenüberraschung aus der Gegenwart stammt schließlich aus dem Salzkammergut, entdeckt mitten im Stadtzentrum in der charmanten Villa Necchi Campiglio, dem diesjährigen Standort der Österreich-Schau. "Camp Champ" ist die Realisierung einer professionellen Küche für den Reisenden. Seit dem Vorjahr vertreibt "Camp Champ"-Kreateur und passionierter Hobbykoch Franz Moser die hochwertig in Österreich gefertigte, flexible und autarke Kochstelle aus lackiertem Bootsbausperrholz. Inklusive Küchenutensilien, Gaskocher und Gewürzen. Primärer Markt ist aktuell der englischsprachige Raum.

"Die Küche kommt mit auf die Überlandfahrt mit dem Range Rover, auf die Almhütte oder auf den Glamping-Trip durch Australien", sagt Moser. Sechs Personen versorgt der "Camp Champ", der so kompakt und durchdacht angelegt ist, dass beim Transport kein Teller verrutscht. In Form und Funktion liegt Moser mit seiner Reiseküche voll im Trend. Nach dem Festmahl verwandelt sich "Camp Champ" in was sonst? einen Kubus. Und auf diesem kann man sogar sitzen.

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