Zielgruppen: Jeder nach seiner Façon

(c) Clemens Fabry
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Wie wohnen Schwule, was wollen Singles? Warum sich Makler und Bauträger für Lebensstile interessieren, und was sie daraus machen. Oder nicht.

Sie buttern ordentlich Geld in die Wohnung, wollen zentrumsnah leben und ziehen vergleichsweise oft um: Das sind Ergebnisse einer aktuellen Untersuchung, die sich mit „schwulen Wohnwelten“ beschäftigt hat. Und das klingt doch gut – vor allem in den Ohren von all jenen, die Immobilien vermitteln, vermarkten, verkaufen oder ausstatten. „Wir wollen eine neue kaufkräftige Zielgruppe erschließen“, erklärt Bernd Hlawa, Geschäftsführer des Portals FindMyHome.at, warum er sich gemeinsam mit der Agentur Pink Marketing und dem Markt- und Meinungsforschungsinstitut Marketagent.com des Themas angenommen hat. Nun plant Bernd Hlawa, sein Portal in eine Homepage der Community einzubinden, um Wohnungen an den Mann zu bringen, und zusätzliche Services, etwa rund ums Design, sollen das Angebot abrunden.

Recht unbeackertes Feld

Untersuchungen zu homosexuellem Wohnverhalten oder zu jenem von Singles, Diskussionen über Raumbedürfnisse von Patchworkfamilien, Bauten für passionierte Radler, Frauen, Umweltbewusste: Das sind Beispiele für zielgruppenaffines Agieren im Immobilienbereich – einem ansonsten allerdings recht unbeackerten Feld, wie Stephan Kippes, Professor für Immobilienmarketing und Maklerwesen an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt im deutschen Nürtingen-Geislingen, meint. „Derzeit ist das Marketing von Immobilienunternehmen nicht besonders zielgruppenorientiert“, sagt er. Das betreffe sowohl den Bereich der Verwertung von Objekten als auch ihre Planung und ihren Bau. „Oft werden Wohnimmobilien zu unpräzise angepriesen. Man stellt die Features der Anlage in den Vordergrund – und das war's. Damit spricht man alle an – und niemanden.“

Dass die Immobilienwirtschaft in diesem Bereich nicht sonderlich schnell und flexibel reagiert, meint auch Andrea Baidinger, Geschäftsführerin der Kommunikationsberatungsagentur „Bauen Wohnen Immobilien“. In gewisser Hinsicht sei das auch verständlich, „schließlich ist das unternehmerische Risiko sehr groß, wenn man beispielsweise einen ganzen Bau für nur eine Zielgruppe errichtet.“

Nur nicht verschrecken

Oft wiegen die Bedenken, viele potenzielle Interessenten durch ein klar definiertes Motto abzuschrecken, schwerer als der mögliche Nutzen, ein paar ganz gezielt anzusprechen. Das gilt speziell für private Bauträger, kommunale Einrichtungen haben es aufgrund der anderen Aufgaben und Ziele etwas einfacher. Daher sieht Baidinger auch den Wohnbau der Stadt Wien in einer Vorreiterrolle. „Hier werden neue Trends aufgegriffen, sei es nun Ökologie oder generationenübergreifendes Wohnen.“

So „große“ Themen wie das Umweltbewusstsein eignen sich nach Ansicht der Experten auch dafür, in Wohnbauten umgesetzt zu werden. Angebote, die viel spezieller konzipiert werden, könnten es schwer haben, sagt Baidinger. „Denn die Lebenswelten bleiben ja nicht immer gleich, sie verändern sich laufend.“ Auf gesellschaftliche Langzeitentwicklungen, wie etwa die sinkende Zahl „klassischer“ Familien, sollten Bauträger ihrer Meinung nach allerdings schon mit entsprechenden Grundrissen sowie architektonischen Lösungen wie koppelbarer Wohnungen reagieren. Was es dazu unter anderem braucht, ist Marktforschung. „Aber im Vergleich zu anderen Branchen, etwa zur Automobilindustrie, wird hier nur wenig Geld investiert“, berichtet Kippes.

Bunte Mischung

Wovor sowohl Baidinger als auch Kippes abraten: Jeder Zielgruppe eigene Wohnbauten auf den Leib zu schneidern. „Wird etwas zu dogmatisch aufgezogen, funktioniert das sicher nicht“, sagt Kippes. Und Baidinger verweist darauf, dass „die Wohnzufriedenheit umso größer ist, je bunter gemischt man lebt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2010)

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