Shoppingflächen: Der Handel im Wandel

Shoppingflaechen Handel Wandel
Shoppingflaechen Handel Wandel(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Migration macht sich auch im Einzelhandel bemerkbar. Das Potenzial dieser Entwicklung ist aber noch weitgehend ungenutzt. Ansätze wie multikulturelles Marketing könnten helfen.

Jeder sechste in Österreich lebende Mensch hat einen Migrationshintergrund, rund 800.000 Personen leben hierzulande mit einem ausländischen Pass. „Das macht sich nicht nur im soziokulturellen Zusammenleben bemerkbar, sondern hat auch seine konkreten Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben und insbesondere auf den Einzelhandel“, weiß Heinz Fassmann, Professor am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien.

Produktvielfalt wird geschätzt

Zuwanderer treten als Unternehmer auf – zumeist klein strukturiert, am Beispiel des türkischen Gemüsehändlers ums Eck –, sind im Handel als Arbeitskräfte tätig und bilden vor allem eine Konsumentengruppe, deren Kaufkraft ein in Österreich anscheinend noch unterschätztes Potenzial darstellt. „Ich denke, dass sich der Einzelhandel mit seinem Angebot den spezifischen Konsumenteninteressen und Produktwünschen wesentlich stärker annähern könnte“, meint Fassmann und denkt an Fladenbrote oder Baklava beim Bäcker oder Konditor, Halal-Fleisch beim Fleischer, gesonderte Ethnic-Food-Ecken im Supermarkt sowie spezifische Textil- und Restaurantbetriebe in Shoppingzentren. „Das wäre aus Sicht des Handels ökonomisch interessant. Denn während der kulturelle Mix in Schulen oder in der Nachbarschaft oftmals konfliktreich wahrgenommen wird, erfreut sich die Vielfalt im Produktangebot beim Konsumenten generell einer unproblematischen Beliebtheit“, so Fassmann.

Das systematische Geschäft von und mit den Migranten, wie es etwa in England oder Amerika längst erfolgreich gang und gäbe ist, findet in Österreich einstweilen nur vereinzelt (Naschmarkt, Brunnenmarkt) und selten strategisch durchmischt statt. „Multikulturelles Marketing steckt hierzulande noch in den Kinderschuhen“, bemerkt dazu Reinhard Winiwarter, Geschäftsführer der Standort Marketing Agentur.

Mehr differenzieren

Multikulturelle Marketingkonzepte sollten vor allem in jenen Einzugsgebieten ein Thema sein, die über eine hohe ethnische Vielfalt verfügen. „Da wird längst nicht das Maximum herausgeholt. Eine größere Differenzierung in der Kundenansprache wäre notwendig, um die verschiedenen ethnischen Gruppen besser zu berücksichtigen“, empfiehlt Winiwarter.

Bei Shoppingzentren etwa sei es das Um und Auf, einen Mietermix zu schaffen, der die ethnischen Realitäten der lokalen Umgebung widerspiegelt. „Je mehr sich ein Einkaufszentrum durch lokale Mieter an sein unmittelbares Einzugsgebiet anpasst, desto höher sind die Akzeptanz, der Anteil der regelmäßigen, täglichen Besucher und die Funktion des Zentrums als sozialer Treffpunkt“, erklärt der Marketingexperte und führt die Lugner City im 15.Bezirk als positives Beispiel an. Hier habe man es – im Laufe der Jahre – verstanden, das Thema Migration aus Marketingsicht positiv zu besetzen, sei es mit indischen Neujahrsfesten, türkischen und ungarischen Wochen oder mit einem achtzackigen Brunnen in Anlehnung an ein Motiv der islamischen Baukunst.

„Das zum Teil deutlich unterschiedliche Konsumverhalten von Bevölkerungsgruppen hat natürlich Auswirkungen auf den Branchenmix in einem Zentrum. Dieser Mix muss folglich angepasst werden“, betont auch Wolfgang Richter. Für den Geschäftsführer von RegioPlan Consulting haben Migrationen, als wesentlicher Bestandteil der Bevölkerungsentwicklung, generell weitreichende Konsequenzen für die Einzelhandelsentwicklung.

Einzugsgebiet prüfen

„Eine Standortwahl – etwa für ein Einkaufszentrum– ist eine langfristige und kaum mehr korrigierbare, teure Entscheidung. Sie muss gut abgesichert werden, indem sie sich nicht nur auf den derzeitigen Stand der Umsatzpotenziale im Einzugsgebiet stützt, sondern auch die zukünftige Entwicklung berücksichtigt“, erklärt Richter. Schließlich könne es passieren, dass im Einzugsgebiet eines Zentrums innerhalb von zehn Jahren massiv Kaufkraft verloren geht. Weil Personen im Einzugsgebiet wegziehen oder die Kaufkraft durch eine andere Bevölkerungszusammensetzung sinkt. Oder weil Leute dazukommen – und mehr Geld zum Shoppen da ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2010)

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