Schriftsteller Slupetzky: "Ich war irrsinnig blauäugig"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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"Mein Tempo ist langsam": Schriftsteller Stefan Slupetzky erklärt, warum er lediglich eine Seite am Tag schreibt, warum er keinen normalen Brotberuf mehr ausüben könnte und sich davor hütet, zu viel Geld zu verdienen.

Die Presse: Sie haben erst vor Kurzem Ihren Roman „Polivka hat einen Traum“ fertiggestellt. Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?

Stefan Slupetzky: Ein Jahr. Mein Tempo ist langsam, das Plansoll ist eine Seite am Tag. Da bin ich dann schon froh, wenn ich das schaffe, weil ich wahnsinnig lange an einem Satz feile.

Erstellen Sie ein Konzept, bevor Sie ein Buch schreiben?

Nein. Das unterscheidet mich auch von anderen Kollegen. Ich weiß nie, wie es weitergeht. Es ist immer ein Sprung ins Nichts.

Sie wissen auch nicht, wie Ihre Bücher ausgehen?

Ich vergleiche das immer mit Bergsteigen: Durch den Nebel sieht man den Gipfel, aber den Weg dorthin kennt man nicht.

Und kommt es vor, dass Sie etwas verwerfen oder umschreiben?

Davor habe ich immer Angst. Es kommt schon vor, dass ich mich in eine Sackgasse schreibe und tagelang nicht mehr weiterweiß. Irgendwann kommt dann die Erleuchtung.

Wenn ein Buch fertig ist, wie lange dauert es, bis es erscheint?

Beim letzten war es relativ kurz. Da hat es ein halbes Jahr gedauert.

Und wenn Sie an einem neuen Buch arbeiten, geben Sie Ihrem Verlag dann sofort Bescheid?

Also bei meinem aktuellen Buch habe ich erst mit dem Schreiben begonnen, als ich einen Vertrag beim Verlag unterschrieben habe.

Der Verlag kauft damit also die Katze im Sack?

Ja.

Wie bekannt muss man sein, damit ein Verlag das macht?

Das kommt auf den Verkaufserfolg der vorigen Bücher an. Entweder hat sich ein Buch rasend gut verkauft. Oder es waren mehrere, die so halbwegs gegangen sind.

Welches Buch hat Ihnen zum Durchbruch verholfen?

Zum Glück gleich mein erstes Buch „Der Fall des Lemming“. Das war kein absoluter Topseller, aber ein Dauerbrenner, es verkauft sich noch immer, und das, obwohl die Erstveröffentlichung auch schon wieder zehn Jahre her ist.

Wie viele Stücke wurden von Ihrem ersten Roman verkauft?

Von den ersten vier – das war eine Tetralogie – wurden, glaube ich, etwa 120.000 verkauft.

Werden Sie pro verkauftem Buch bezahlt?

Ja, bei Taschenbüchern ist das sehr wenig, sechs Prozent, bei Hardcover ist es mehr. Das steigt auch mit der Auflagenhöhe an. Ab einer bestimmten Anzahl verkaufter Bücher bekommt man dann einen höheren Anteil. Wenn man einen Vertrag hat, bekommt man einen Vorschuss. Der wird mit den Tantiemen gegenverrechnet.

Haben Sie manchmal Angst davor, dass eines Ihrer Bücher zum Ladenhüter werden könnte?

Immer. Wobei die Angst beim zweiten und dritten Buch am größten war.

Sind Sie auf andere Autoren neidisch, wenn sich deren Bücher besser verkaufen?

Neidisch bin ich nur dann, wenn das Buch schlecht ist, aber trotzdem besser verkauft wird.

Können Sie inzwischen von den Verkaufserlösen Ihrer Bücher leben?

Ich kann nicht von den Verkaufserlösen leben. Es gibt sicher Schriftsteller, die das können. Bei mir kommen viele artverwandte Tätigkeiten dazu. Die meisten Schriftsteller leben zu sechzig, siebzig Prozent von Lesungen und sonst von den Tantiemen. Bei mir kommt noch dazu, dass ich Musik mache und viele Jahre für Reichenau Theaterstücke adaptiert habe.

Sie leiden also nicht unter permanenten Existenzängsten?

Im Moment nicht. Das kann sich aber schnell ändern.

Was machen Sie dann?

Leiden. Grübeln.

Können Sie sich vorstellen, wieder einem anderen Beruf nachzugehen, etwa Lehrer?

Das war ich ja schon einmal. Nein, das könnte ich nicht mehr. Ich glaube nicht, dass ich noch kompatibel bin mit dieser Welt. Ich will keinen Chef mehr. Aber ich bin mir selbst wahrscheinlich ein viel strengerer Chef, als andere ihn haben.

Sie haben ursprünglich an der Kunstakademie studiert. Wie kamen Sie zum Schreiben?

Ich war ursprünglich Illustrator für Kinderbücher. Bald habe ich auch die Texte selbst geschrieben. Irgendwann fragte mich meine Münchner Verlegerin, ob ich nicht einen Jugendkrimi schreiben will. Heraus kam das erste Kapitel des ersten Romans, und das war so obszön, brutal und grausam, dass klar war: Für Kinder ist das nichts. So entstand der erste Roman.

Und Illustrator wollten Sie schon als Kind werden?

Ja, eigentlich schon. Ich war irrsinnig blauäugig damals. Ich habe im Telefonbuch nachgeschaut, wo es einen Verlag in Wien gibt, den ich kommod und mit der Straßenbahn erreichen kann. Dort habe ich dann auch einen Job bekommen. Bei meinem ersten Roman war es ähnlich: Als mein Münchner Verlag eingegangen ist, habe ich das Manuskript einfach an meine großen Wunschverlage geschickt. Ich glaube, dass es ein ungeplanter Glücksfall war, dass ein Jahr vorher Wolf Haas von Rowohlt weggegangen ist. Ich habe das Gefühl, dass da eine Planstelle frei war. Von elf Absagen erhielt ich eine Zusage, und das war bei Rowohlt.

Sorgen Sie eigentlich für die Pension vor, oder hoffen Sie, dass Sie einmal von den Tantiemen leben können?

Ich werde sicher nie eine gescheite Pension kriegen. Meine Frau ist da gewissenhafter als ich, sie hat Lebensversicherungen abgeschlossen. Vor einem Jahr hat mir die Versicherungsmaklerin in diesem Zusammenhang gezeigt, wie es bei mir aussieht. Da kam dann heraus, dass ich momentan, wenn ich jetzt in Pension ginge, 70 Euro bekäme. Neuerdings ist man gezwungen, zu einer privatisierten Vorsorgekasse zu gehen, was ich ja unglaublich obszön finde. Ich glaube, dass man lieber vom Staat in der Lage belassen werden sollte, dass man sich etwas auf die Seite legen kann.

Legen Sie etwas auf die Seite?

Wenn möglich, schon. Das Seltsame an dem System ist: Ich will seit drei, vier Jahren nicht mehr zu viel Geld verdienen. Es gab ein Jahr, als Tantiemen von der Verfilmung meines ersten Romans hereinkamen. Das war das einzige Jahr, in dem ich wirklich gut verdient habe. Und dann kamen die Steuervorschreibungen und vor allem die Vorschreibungen der Sozialversicherung plus Vorauszahlungen. Ich hatte diesen Schrieb in der Hand, rechnete mir das aus und wusste, wenn ich das alles zahlen muss, bin ich ruiniert.

Aber zahlen mussten Sie...

Ich habe um eine Berichtigung der Vorauszahlungen angesucht. Dann war mein Konto fast auf null. In den folgenden Jahren bekam ich dann wieder etwas zurück. Da haben sie dann gesehen, dass ich ja in der Regel nicht einmal die Hälfte verdiene. Für Sportler gibt es da Ausnahmeregelungen, und ich verstehe nicht, warum es die nicht für Künstler gibt.

Legen Sie Ihr Geld abseits von Lebensversicherungen an – etwa in Aktien oder Immobilien?

Da habe ich Vorbehalte. Ich habe schon Wertpapiere, das sind, so weit ich das beurteilen kann, die sozial verträglichsten. Aber ich finde es fragwürdig, dass jeder österreichische Bürger gezwungen ist, beim großen Finanzroulette mitzumachen. [ Clemens Fabry]

ZUR PERSON

Stefan Slupetzky (*1962) ist ein österreichischer Schriftsteller und Krimiautor. Der gebürtige Wiener studierte an der Akademie der Bildenden Künste und war unter anderem Zeichenlehrer und Illustrator, bevor er sich dem Schreiben widmete. Der Durchbruch gelang Slupetzky im Jahr 2004 mit seinem ersten Roman „Der Fall des Lemming“, dem weitere Lemming-Romane folgten. Für seine Werke wurde der Autor mit zahlreichen Preisen bedacht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2013)

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