Wenn Blasen an den Börsen platzen

CHINA STOCK MARKET
CHINA STOCK MARKET(c) APA/EPA/ROLEX DELA PENA (ROLEX DELA PENA)
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Übertreibungen. Chinesische Anleger konnten in den vergangenen eineinhalb Jahren viel Geld verdienen. Nun haben einige viel verloren. War das nicht vorherzusehen? Das Problem: Wann genau eine Blase platzt, ist schwer vorauszusagen.

Wien. Wenn eine Blase auf den Märkten platzt, wollen es viele schon immer prophezeit haben. Immerhin waren die Aktienkurse zuvor steil angestiegen, die Anleger hatten ein immer größeres Vielfaches des Gewinns für die Papiere bezahlt.

In China scheint vorerst damit Schluss zu sein. Dort hatte sich der Shanghai Composite Index von Anfang 2014 bis Mitte Juni 2015 um 155 Prozent verteuert, bevor er in den vergangenen Wochen um 30Prozent abstürzte. Ab einem Rückgang von 20 Prozent spricht man von einem Bärenmarkt. Chinesische Aktien hatten Mitte Juni ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 26 und waren damit doppelt so teuer wie im Fünfjahresschnitt, wie aus Bloomberg-Daten hervorgeht.

China teurer als USA

Die Käufer bezahlten demnach das 26-Fache des Gewinns der vergangenen zwölf Monate– das ist für ein Schwellenland ungewöhnlich hoch. Inzwischen liegt das KGV zwar wieder unter 20. Damit sind chinesische Aktien jedoch noch immer etwas teurer als US-amerikanische und sogar um zwölf Prozent teurer als die Papiere im weltweiten Aktienindex MSCI World. (In den vergangenen fünf Jahren waren chinesische Aktien durchschnittlich um 14 Prozent billiger als der Weltaktienindex.)

Zwar wurde der Absturz in der vergangenen Woche gestoppt, doch die meisten Experten fürchten, dass das nicht nachhaltig sein könnte. Die Regierung hatte kurzerhand Handelsbeschränkungen für Großanleger eingeführt, wenn diese auslaufen, könnte es zu einem starken Preisdruck kommen. „Angesichts des Ausmaßes der Rallye ist es möglich, dass wir selbst nach einer Korrektur von 30 Prozent noch nicht wieder in die Nähe eines fairen Werts gekommen sind“, sagte Russ Koesterich, weltweiter Chefanlagestratege bei Black Rock, zu Bloomberg.

Schlimme Auswirkungen fürchtet auch der Hedgefonds-Manager Paul Singer: Der jüngste Aktienmarktcrash in China könnte stärkere Auswirkungen als die US-Subprime-Krise auf dem Häusermarkt vor ein paar Jahren haben, erklärte er bei einer Konferenz in New York City. Und diese hatte immerhin die weltweite Finanzkrise zur Folge, im Zuge derer sich der Dow-Jones-Index halbierte. Kommt es in China noch schlimmer? Eines steht fest: Der Shanghai Composite Index hat schon steilere Anstiege als jenen von 155 Prozent seit Anfang 2014 erlebt: In nur zwei Jahren (2006 und 2007) hatte er sich verfünffacht, bevor er im Zuge der Finanzkrise abstürzte.

Auch den legendären Börsencrashes der Geschichte waren extremere Anstiege vorangegangen: Zwischen 1924 und 1929 hatten sich die Preise für US-Aktien vervierfacht, bevor sie um mehr als 80Prozent einbrachen.

Der japanische Leitindex Nikkei versechsfachte sich zwischen 1980 und 1989 (ohne dass vorher das Niveau besonders niedrig gewesen wäre). 1989 war das Kurs-Gewinn-Verhältnis japanischer Aktien fast dreistellig: Die Anleger bezahlten den hundertfachen Jahresgewinn, um japanische Aktien zu kaufen. Und das ist hoch– auch wenn man von sehr starkem Gewinnwachstum ausgeht.

Von sehr starkem Wachstum gingen die Anleger auch Anfang der Jahrtausendwende bei Technologieaktien aus. Diese waren damals ähnlich teuer– zuvor hatte sich der US-Technologieindex Nasdaq in nur drei Jahren fast vervierfacht. Beide Indizes– der japanische Nikkei und der technologielastige Nasdaq– stürzten nach diesen Höhepunkten steil ab. Die Technologieaktien brauchten 15 Jahre bis zum nächsten Allzeithoch, der Nikkei hat seines nach mehr als 25Jahren noch immer nicht wieder eingestellt.

ATX: Osteuropa enttäuschte

Nicht so leicht zu erkennen war eine Blase im Wiener ATX: Dieser hatte sich zwischen 2002 und 2007 verfünffacht, die Aktien galten aber– gemessen an den erwarteten Gewinnen– nicht als übertrieben hoch bewertet; schließlich rechnete man ja mit hohen Wachstumschancen in Osteuropa. Doch diese– so stellte sich im Nachhinein heraus– waren überschätzt worden. Der ATX stürzte infolge der Finanzkrise 2008 schwer ab und liegt heute um gut 50 Prozent unter seinem Allzeithoch.

Droht Ähnliches nun auch in China mit seinen hohen, aber nicht übertrieben hohen Aktienbewertungen? Immerhin wächst Chinas Wirtschaft trotz Abschwächung noch immer um sieben Prozent pro Jahr und damit stärker als der Rest der Welt. Wenn die Gewinne halten, was sie versprechen, könnte ein hohes KGV gerechtfertigt sein.

Genau daran gibt es jedoch Zweifel. Die Analysten der Credit Suisse sehen in der dreifachen Blase bei Krediten, Investments und Immobilien in China das größte Risiko für die Weltwirtschaft. Sie raten daher nicht nur zur Vorsicht bei chinesischen Aktien, sondern auch weltweit bei Luxuskonzernen, Investitionsgüterherstellern und Chemiekonzernen.

AUF EINEN BLICK

Chinas Wirtschaft wächst jährlich um sieben Prozent. Das ist deutlich geringer als noch vor zehn Jahren, aber weit mehr als in den meisten entwickelten Staaten. Doch an den Börsen in Shanghai und Shenzhen ist ein starkes Wachstum bereits eingepreist. Zuletzt wurden Zweifel an den von der chinesischen Statistikbehörde gemeldeten Wachstumszahlen laut. Das war mit ein Grund, warum die Börse abstürzte. Zuvor waren chinesische Aktien doppelt so teuer wie im Schnitt der vergangenen fünf Jahre und teurer als US-Aktien. Das sowie der steile Börsenanstieg der vergangenen 18 Monate können Anzeichen einer Blase sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2015)

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