Klein beim Bauen, groß beim Wohnen

Baugeschichte. Ein neues Haus mit wenigen Quadratmetern erweitert ein altes Haus mit wenigen Quadratmetern.

Wenn der Platz im Eigenheim knapp wird, gibt es mehrere Möglichkeiten, sofern man nicht gerade übersiedeln will: den Bestand geschickt in sich umbauen, zu- und aufbauen oder abreißen und komplett neu errichten. Letzteres hatten die Bauherren von „Haus S.“ nicht im Sinn, viel zu sehr schätzten sie das alte kleine Haus, das bereits dessen Vorbesitzer wie ein Schmuckkästchen hergerichtet hatten. Auf das hübsche Jahrhundertwendehaus aufbauen bot auch keine Alternative, denn das hätte das romantische Erscheinungsbild des Objekts verändert. Und in sich umbauen war für die Familie schon gar kein Thema bei einer Nutzfläche von 37 Quadratmetern pro Etage exklusive Stiegenaufgang.
Also anbauen oder besser: ein eigenständiges Minimalhaus, wie die Architektin Connie Herzog von Lostinarchitecture es bezeichnet, dem Haupthaus direkt an die Seite stellen. So eng, dass es mit dem Bestand im Erdgeschoß mit einem Glaskonnex verbunden ist, nicht aber im Keller (der wegen der Lage im Hochwassergebiet der Donau als weiße Wanne aufgestellt werden musste) oder im Obergeschoß. So wirkt der Bau wie ein Solitär, in drei Metern Abstand zum Nachbarn ist er gerade einmal 2,60 Meter breit.

Form folgt Licht

Grund für die schmale Kubatur war auch, dass die räumliche Erweiterung nicht zulasten des Gartens gehen sollte, der der Bauherrin sehr am Herzen liegt, wie Herzog erzählt. Und das neue Nebenhaus sollte auch keinen Schatten auf die Terrasse werfen – „daraus ergab sich die Form“ erklärt Herzog. Ein Rücksprung im Erdgeschoß und der Vorsprung im Obergeschoß sorgen dafür, dass von Westen genug Sonnenstrahlen auf den Essplatz im Freien fallen, aber der Garten von außen nicht einsichtig ist. Wobei Haus S. mit seinen großen Fenstern und seiner hellen Fassade (Putzfassadegrau mit Elefantenhautoptik) ohnedies einen lichtdurchfluteten Eindruck macht.
In dem Objekt finden nun die beiden Kinderzimmer Platz – eines ganz unten nebst dem Bad, eines im ersten Stockwerk plus einer kleinen Galerie zum Spielen. Im Erdgeschoß befindet sich die Diele mit Ausblick auf einen Terrasseneinschnitt. Da das Grundstück leicht abschüssig ist, konnte Herzog das Badezimmer unter der Diele „eingraben“, während das Kinderzimmer gartenseitig herausragt, aber ohne bodentiefe Öffnung. Formatfüllende Fenster wollten die Bauherren für das Kinderhaus dann doch nicht.

Neuer Zugang, gefühlte Größe

Überdies bot sich durch den neuen Bau die Möglichkeit, die unzulängliche Eingangssituation im alten Haus zu lösen: Nun betritt man die Gebäude durch eine entsprechend geräumige Diele.
2,60 Meter draußen ergeben 2,20 Meter drinnen – und haben die Konsequenz, dass man die Funktionen und Möbel hintereinanderstaffeln muss, anstatt sie nebeneinander aufstellen zu können: So kommt man in das eigentliche Kinderzimmer durch den kleinen Schrankraum im hinteren Teil des Raums. „Es ist wie ein Kabinett“ meint Architektin Herzog, aber durchaus ein großzügiges. Denn es kommt nicht auf die faktische Zahl der Quadratmeter, sondern auf die Wirkung des Raums an, ganz gleich wie groß: „100 schlecht geplante Quadratmeter können so wirken wie 60 gut geplante“, sagt die Planerin über den Reiz, gerade eben mit kleineren Räumen zu arbeiten. „Die Japaner sind Meister darin.“ In Österreich werde das vielleicht erst zu einer größeren Bauaufgabe.

Ordnen und verstauen

Natürlich erfordern solche kompakte Häuser auch etwas Disziplin von ihren Bewohnern: Sammelleidenschaften ausleben, alles vollstopfen, viel Zeug herumliegen lassen – das schmälert den Wohnkomfort im Kleinen doch. Umso besser, wenn manche Dinge durch schmale und ausgetüftelte Ver- und Einbauten gelöst sind; hier beispielsweise wird die Wendeltreppe mit einem Möbel für Stauraum kombiniert. Auch Maßanfertigungen vom Tischler nutzen jeden Quadratzentimeter, den ein Serienmöbel vermutlich freilässt.
Dass sich die Bauzeit in engen Grenzen halten soll, wenn es im alten Haus immer knapper wird und das Objekt im eigenen Garten steht, ist naheliegend: Die Architektin hat eine schnell errichtbare Holzpfostenriegelkonstruktion mit Stahlträgeraussteifung geplant. Der Bau startete im April, Ende Juli konnte die Familie beziehungsweise konnten die Kinder bereits die Räume in Beschlag nehmen. Und für den Fall, dass sich die Anforderungen an solche Miniaturhäuser mit der Zeit ändern, ist das kein großer Aufwand: Wenige Quadratmeter lassen sich leichter verändern als viele. Aber so klein kann ein Bau gar nicht sein, als dass er nicht doch ein paar Menschen polarisiert, so Herzog: „Doch sobald diejenigen das Haus betraten, spürten sie den Raum und das Volumen.“

Was interessant ist für das Wohnen

. . . auf kleiner Fläche

Tipp 1

Ordnung der Dinge. Wie viele Dinge braucht es wirklich, welche Einrichtungsgegenstände müssen unbedingt ihren Platz haben, und welche Funktionen brauchen einen eigenen Raum und können nicht an einem Platz verbunden werden? So grundsätzliche alltägliche Überlegungen sollte man als Bauherr beziehungsweise Planer in eigener Sache anstellen. Der Vorteil von selbst auferlegter Reduktion: Schrumpft die Quadratmeteranzahl, tun's auch die Baukosten.


Tipp 2

Möbel mit Multifunktion. Wenn es darum geht, wenige Quadratmeter einrichten und ausstatten zu müssen, stehen die Zeiten gut. Waren Multifunktionsmöbel oder praktische Kleinlösungen wie etwa Klapptische, Schrankbetten, Miniaturwaschtische oder extraschmale Wandverbauten lang nicht die Herausforderung für Möbeldesigner und -industrie, so wendet sich das Blatt. Auch die Gestalter freuen sich über die Aufgaben im Kleinformat.


Tipp 3

Bauten als Beispiel. Aktuelle Architekturbeispiele sind die beste Möglichkeit, um zu empfinden, wie es sich auf weniger Quadratmetern wohnt. In der kommenden Woche (am 3. und 4. Juni) finden quer durch Österreich die Architekturtage statt, bei denen Interessierte Zugang zu Ateliers haben, Exkursionen sowie Vorträge erleben und von den Architekten Gebautes vor Ort direkt – wie etwa „Haus S.“ – vermittelt bekommen. Info: www.architekturtage.at

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