Faymann soll Gemeindebau in Brüssel verteidigen

Wien sieht den gemeinnützigen Wohnbau von der EU bedroht – Faymann soll in Brüssel helfen. Im EU-Vergleich berücksichtigt der heimische Wohnungsmarkt sozial Schwache wenig.

Der frischgebackene Lobbyist Werner Faymann hat ein erstes großes Ziel: Der gemeinnützige Wohnbau soll gegen die EU verteidigt werden. Für dieses Vorhaben sollen nun Bündnispartner im Ausland gefunden werden.

Die Wiener Genossen sehen den Gemeindebau in Gefahr, haben daher am Donnerstag die sogenannte Wiener Initiative zur Sicherung des gemeinnützigen Wohnbaus in Europa präsentiert, die Faymann mit seinen „guten Kontakten aus seiner Zeit als Bundeskanzler und seiner Expertise als ehemaliger Wohnbaustadtrat bei seinen Reisen präsentieren wird“, so Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ). Der Grund für die offenbar als notwendig empfundene Lobbyingarbeit: „In der EU machen sich neoliberale, konservative Tendenzen breit, die den gemeinnützigen Wohnbau abschaffen wollen“, sagte Ludwig. So würden private Bauträger immer wieder versuchen, Beschwerde einzulegen, weil sie die Gemeinnützigkeit und die Wohnbauförderung als wettbewerbsverzerrend betrachten.

Wiener Mischung

Frankreich hat die Wohnbauförderung massiv beschnitten. In Holland sind die Einkommensgrenzen für jene, die Zugang zum gemeinnützigen Wohnbau haben, massiv gesenkt worden. 600.000Menschen haben deswegen keinen Anspruch auf Förderung mehr.

„Das ist nicht unser Weg. Wir wollen nicht nur sozial ganz schwache Familien in diesen Bauten haben, sondern eine Durchmischung und auch ein Angebot für den Mittelstand“, so Ludwig. Derzeit gibt es in Österreich eine Million Wohnungen, die mit Wohnbauförderung errichtet wurden. Wie hoch die Einkommensgrenzen sind, bestimmt jedes Bundesland selbst. In Wien liegen diese für eine Person bei 44.410 Euro brutto im Jahr, für zwei Personen bei 66.180 Euro. 60 Prozent der Wiener leben in geförderten Wohnungen.

Österreich und Wien haben eine lange Tradition des sozialen Wohnbaus, der international Vorbildwirkung hat. Die Wiener Philosophie der Durchmischung hat einerseits dazu geführt, dass es in der Hauptstadt keine Ghettobildung gibt, bedeutet aber andererseits auch, dass die Allerärmsten gemeinsam mit dem Mittelstand auf einer Warteliste für Wohnungen stehen.

Dass sie dabei teilweise schlecht aussteigen, zeigt der gerade erschienene Index zur Europäischen Wohnversorgung. Dieser wird jährlich auf Basis von Eurostat-Daten über Einkommen, soziale Eingliederung und Lebensbedingungen erstellt. Insgesamt liegt Österreich im EU-Vergleich auf dem guten achten Platz, weist aber trotz des hohen Anteils an sozialem Wohnbau auch einige überraschende Platzierungen im hinteren Feld auf.

Sozial Schwache benachteiligt

Demnach sind es vor allem einkommensarme Haushalte in Österreich, die ein höheres Risiko tragen, durch schwere Wohnungsmängel belastet zu sein, und auf dem privaten Wohnungsmarkt in unsicheren Mietverhältnissen exponiert sind.

Laut Bericht sind 36,7 Prozent der einkommensarmen Haushalte in Österreich durch ihre Wohnkosten überbelastet und müssen mehr als 60Prozent ihres Einkommens dafür aufwenden. Österreich liegt demnach an 16. Stelle von 28 untersuchten Ländern. Als einkommensschwach gilt, wer im Vergleichsjahr 2014 pro Monat höchstens 1103,4Euro zur Verfügung hatte. Laut Statistik Austria waren vergangenes Jahr rund 1,2 Millionen Österreicher armutsgefährdet.

Gar nur an 23. Stelle liegt Österreich bei der Exponiertheit einkommensarmer Haushalte auf dem Wohnungsmarkt. 59,5 Prozent dieser Haushalte sind hierzulande auf den privaten Wohnungsmarkt angewiesen oder haben Hypothekenzahlungen zu leisten. Dazu fällt auf, dass die Überbelastung durch Wohnkosten im Zeitraum von 2007 bis 2014 in Österreich um 50 Prozent mehr als im EU-Durchschnitt gestiegen ist. Auch beim zusätzlichen Risiko älterer Personen über 65Jahren, schwerwiegende Wohnungsmängel erdulden zu müssen, liegt Österreich mit immerhin 81 Prozent Risiko an 23. Stelle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2016

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.