Günter Brus: "Ich kann nichts außer Kunst"

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Der Maler und Aktionskünstler Günter Brus erzählt, wie er sich früher durchschnorren musste, warum er den Staatspreis angenommen hat und sich nach wie vor nicht dafür interessiert, welche Preise seine Werke erzielen.

Die Presse: Viele Künstler kokettieren damit, dass sie nichts von Geld wissen wollen. Und Sie?

Günter Brus: In der Zeit der Armut hat es meine Frau und mich schon beschäftigt, was wir morgen essen und trinken sollen, ob wir Zigaretten kaufen können. Später, in Berlin, als die ersten Einkünfte eingetroffen sind, waren wir eher überrascht, wie viel die Verkäufe eingebracht haben. Obwohl: Mit den ersten Verkäufen konnte ich meine Familie nicht durchbringen. Es war meine Frau, die Mode gemacht und das meiste Geld verdient hat.

Wann lief es bei Ihnen an?

Ich erinnere mich, als ich das erste Mal zwei Sackerln Lebensmittel mit nach Hause gebracht habe, aus dem Bolle, so ein Berliner Billa. Dort habe ich erstmals mit eigenem Geld bezahlt. Da war ich 32.

Wovon haben Sie vorher gelebt?

Von meiner Frau, und wenn nichts gelaufen ist, hat man sich so durchgeschnorrt. Ich frage mich heute noch, wie das funktioniert hat.

Haben Sie sich keine Sorgen um die Zukunft gemacht?

Sorgen um die Zukunft habe ich nie gehabt. Dazu war ich zu überzeugt von der Qualität meiner Arbeit.

Wollten Sie als Kind schon Künstler werden?

Künstler nicht, ich wollte zeichnen.

Was haben Ihre Eltern gesagt?

Mit dem Zeichnen waren sie einverstanden. Ich habe an der Kunstgewerbeschule in Graz studiert. Da mussten sich die Eltern vier Jahre lang nicht den Kopf zerbrechen, was der Sohn später macht.

Sie haben Sie nicht gedrängt, einen Brotberuf zu erlernen?

Sie dachten, dass ich mit Werbegrafik, Gebrauchsgrafik, Plakatmalen und Auslagen etwas verdiene. Da ist mir aber nur ein Mal ein Durchbruch gelungen: auf dem Grazer Hauptplatz. Ich habe für eine Apotheke einen kopfnickenden Weihnachtsmann gestaltet.

Das wollten Sie nicht weitermachen?

Es gab keine weiteren Aufträge. In der Kunstgewerbeschule haben sie bemerkt, dass ich hochbegabt war, aber nicht für die Werbung. Ich war zu naiv. Mein erster Auftrag war, ein Plakat für die Österreichische Klassenlotterie zu machen. Ich habe ein Klosett gemalt, mit einer Kette zum Runterziehen, und da stand „Ziehung am 16.Oktober 1954“. Da hat der Professor gesagt: „Das können Sie nicht machen, man soll das gewonnene Geld ja nicht durch die Klomuschel runterlassen.“ Ich habe ein hervorragendes Zeugnis in der Kunstgewerbeschule bekommen. Sie haben mir vorgeschlagen, dass ich nach der Ausbildung an der Wiener Akademie zurückkomme und als Dozent anfange. Ich habe schnurstracks abgelehnt.

Warum?

Wenn man einmal einen Schritt von der Provinz in die Hauptstadt gemacht hat, kann man nicht wieder zurückkehren.

Womit haben Sie das meiste Geld in Ihrem Leben verdient?

Ich kann nichts außer Kunst.

Aber mit welchem Bild?

Kein bestimmtes Bild. Ich bin 1969 nach Berlin gekommen, und 1972 war ich zur Documenta eingeladen. Ab da ging es bergauf. Ich hatte Anfragen von verschiedenen westdeutschen Galerien. Und dann kamen Amsterdam, Zürich, es ging dann schon in Richtung Museen.

In Ihrer frühen aktionistischen Phase haben Sie nichts verdient?

Gar nichts. Wenige Förderer kauften aus Mitleid, wenn man das zusammenrechnet, kommt noch immer ein Minus heraus. Es gab damals noch kein Verständnis für Fotokunst. Fotos waren wertlos. Ich war einmal in London, dort hat ein Galerist die Mappe aufgeschlagen und gesagt: „Interessant, aber das sind ja nur Fotos.“ Daneben stand ein Mann aus Mainz, der hat es mir sofort abgekauft.

Was ist dieses Foto heute wert?

Ich weiß nicht, was meine Bilder kosten. Für Finanzen ist meine Frau zuständig.

Sie interessieren sich nicht dafür, was Ihre Werke kosten?

Wenn man sich heute die Preise von Künstlern anschaut, die als bedeutend angesehen werden, ist das geradezu pervers. Auch die betroffenen Künstler, etwa Gerhard Richter, äußern sich zum Teil kritisch. Er sagt, er hat keine Ahnung, wie das geht, das Geld nimmt seinen Lauf. Dieser globale Markt, das hat noch nicht existiert, als ich meine ersten Werke verkauft habe.

Hat damals niemand Kunst primär als Investment gekauft?

Investment ist ein gutes Wort. Es gibt aber andere Ausdrücke.

Kaufen heute mehr Leute Kunst, die sich damit nicht auskennen?

Das gab es damals auch schon. Es gab Fälle, in denen ich eine Arbeit verkauft habe, die dann zurückgegeben wurde, weil die Frau gesagt hat: „Es passt nicht zum Sofa.“

Nachdem Sie zunächst wegen „Herabwürdigung der österreichischen Staatssymbole“ verurteilt wurden und das Land verlassen mussten, haben Sie spät den Österreichischen Staatspreis erhalten. War das ein Triumph, oder haben Sie sich gewundert?

Gewundert nicht, und Triumph schon gar nicht. Ich war auf einer Kanarischen Insel, und Arnulf Rainer hat mir telefonisch mitgeteilt: „Der Kunstsenat hat beschlossen, dir den Staatspreis zu verleihen.“ Ich wusste nicht so recht, ob ich ihn annehmen soll. Meine Frau hat das mitgehört und gesagt: „Was? Staatspreis? Sie sollen zurückzahlen, was sie uns schulden.“

Hat das gereicht?

Bei Weitem nicht. Sie hätten Millionen zahlen müssen.

Sie meinen, weil Ihnen so viel entgangen ist, weil Sie nach Berlin gehen mussten?

Wenn man alles zusammenrechnet, was man nicht gehabt hat, kein Bügeleisen, kein Auto, keinen Staubsauger, war das sehr viel.

Und wer war daran schuld?

Alle. Außer diejenigen, die versucht haben, mich zu unterstützen, und das waren wenige. Und sie haben auch eher aus Mitleid als aus Begeisterung mitgeholfen.

Sie haben den Preis angenommen.

Ja, weil meine Frau es wollte. Mir kam das merkwürdig vor. Aber über das Stadium bin ich hinaus. Ich habe später auch den Kokoschka-Preis bekommen. Ich nehme alle Preise.

Was halten Sie generell von diesen staatlichen Kunstpreisen?

In Österreich ist jeder, der einen Preis bekommt, gleich verdächtig, Staatskünstler zu sein. Das ist doch normal, dass der Staat verdiente Künstler auszeichnet. Für Fußballer und Industriekapitäne gibt es auch Preise. Ich bin kein Staatskünstler, ich habe nie vom Staat einen Auftrag bekommen. Den Preis hat mir auch nicht der Staat gegeben. Da gibt es einen Kunstsenat, er setzt sich aus ehemaligen Preisträgern zusammen, die beraten, wer den Preis bekommt.

Kommt dieser Vorwurf „Staatskünstler“ häufig?

Ja, schon. Aber im Großen und Ganzen eher in der „Kronen Zeitung“.

Was haben Sie mit dem Geld vom Staatspreis gemacht?

Sofort ein Auto gekauft (lacht).Nein. Meine Frau hat es auf die Bank gebracht. Damals bin ich finanziell schon gut dagestanden, der Preis war eine Draufgabe.

Sie interessieren sich nicht für Geldanlage?

Aktien und so?

Zum Beispiel.

Ich bin Aktionist, verstehe aber nichts von Aktien. Meine Frau sagt immer: „Da hat sich etwas vermehrt. Aber davon verstehst du eh nichts.“ [ Michèle Pauty ]

ZUR PERSON

Günter Brus (75) wurde in Ardning, Steiermark, geboren. 1964 begründete er mit Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler den Wiener Aktionismus. Bekannt wurde Brus mit seinen Aktionen, später wandte er sich dem Zeichnen zu. 2013 initiierte die Galerie Heike Curtze und Petra Seiser, wo Brus seit über 30 Jahren unter Vertrag steht, den Verkauf einer Reihe seiner Werke an das Museum of Modern Art (MoMa) in New York.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2014)

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