Ex-Investmentbanker Voss: "Geld wird etwas Quasireligiöses"

Rainer Voss
Rainer VossLuiza Puiu
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Rainer Voss war einer der erfolgreichsten Investmentbanker Deutschlands. Er erklärt, warum man das gesamte Bonussystem abschaffen könnte und Aktienhändler der ideale Beruf für Menschen mit schwachem Selbstbewusstsein ist.

Die Presse: Warum sind Sie Banker geworden?

Rainer Voss: Ich war ein eher bescheidener Schüler, um Arzt zu werden hat es nicht gereicht. Mein Vater hat mir zu einer Banklehre geraten. Damals war das Image des Bankers noch ein anderes, man ist auf einer Stufe mit dem Arzt oder dem Pfarrer gestanden. Das hinter dem Schalter hatte ja fast schon etwas Seelsorgerisches. Wir haben den Omis die Tüten nach Hause getragen. Es war eine erfüllende Beschäftigung. Aber nach der Lehre schien mir mein weiteres Leben zu vorhersehbar, ich habe Volkswirtschaft studiert. Danach habe ich viele Bewerbungen geschrieben und viele Absagen erhalten.

Wer hat Sie denn abgelehnt?

Meine späteren Arbeitgeber. Die Ablehnungsschreiben habe ich dann immer als Bildschirmhintergrund auf dem Büro-PC verwendet. Einer hat geschrieben, ich wäre für den Beruf des Bankkaufmanns völlig ungeeignet. Derselbe wollte mir später siebenstellige Beträge auf den Tisch legen.

Wie ist der Einstieg gelungen?

Als ich über einen Menschen, eine Art Vaterfigur, einen Job bei einer Bank bekommen habe, ging alles schnell: Ich nahm zwei Tage lang an einem Training für Investmentbanker teil und war schon mittendrin. Ich bin sehr schnell aufgestiegen. Die große, weite Welt, die mir in meiner Jugend immer gefehlt hat, bekam ich auf dem Silberteller präsentiert.

Sind Sie ein Draufgänger?

Ich bin derjenige, der sich beschwert, wenn der Nachbar das Auto falsch einparkt. Ich bin der schlimmste Spießer, den Sie sich vorstellen können. Und was das mit sich bringt, ist eine klare Vorstellung von Gut und Böse.

Was ist in der Bankbranche "Gut" und "Böse"?

Einer philippinischen Putzfrau in New York ein Haus um 700.000 Dollar verkaufen? Macht man nicht. Einer 80-Jährigen Schiffsfonds mit 40-jähriger Laufzeit verkaufen? Macht man nicht. Da brauch ich keinen Ethikprofessor!

Sie selbst haben ein reines Gewissen?

Sonst würde ich nicht hier sitzen. Ich denke, dass 95 Prozent der Banker – auch in den kritischen Bereichen – einen ordentlichen Job machen. Das Problem sind die restlichen fünf Prozent, die nehmen die Gesellschaft als Geisel.

Wer sind diese Menschen?

Der Beruf zieht Personen an, die sehr stark auf Bestätigung von außen angewiesen sind. Ich schließe mich bewusst selbst mit ein. Ein Psychologe hat mir das einmal gesagt: Der beste Beruf für jemanden mit schwachem Selbstbewusstsein ist Aktienhändler. Du guckst auf einen Monitor und kannst minütlich ablesen, wie hoch dein Wert ist. Dabei geht es nicht um Geld: Stellen Sie sich einen Händler vor, der drei Millionen Dollar Bonus erhält und trotzdem unzufrieden ist. Warum? Weil der Typ, der gegenüber sitzt, 3,2 Millionen hat.

Ist es Ihnen auch so ergangen?

Das sind Größenordnungen, die meine überschreiten. Aber auch ich habe mich horizontal verglichen. Ich musste oft an meinen Lateinlehrer denken, der gute Arbeiten mit kleinen Gummi-Römern belohnte. Würden sich die Banken einig werden, könnte man das ganze Bonussystem abschaffen und stattdessen Gummi-Römer verwenden. Dann ist immer noch der mit fünf Figuren auf dem Tisch der Chef und der mit drei der Loser.

Haben Sie eigentlich je versucht, zusammenzurechnen, wie viel Sie in Ihrem Leben verdient haben?

Nein, und ich würde das als Profi auch nicht sagen. Ich hatte zwei Spitzenjahre, aber ich hatte auch eine sehr hohe Sparquote. Es ist realistisch, dass Sie den Job machen, bis Sie 45 Jahre alt sind. Zu diesem Zeitpunkt müssen Sie so weit sein, dass Sie den Rest Ihres Lebens bestreiten können. Früher hat mir der Gedanke daran manchmal schlaflose Nächte bereitet.

Und jetzt? Haben Sie das Gefühl, genug verdient zu haben?

Geld bedeutet für mich, dass ich morgens aufstehen kann und keinem verantwortlich bin. Das habe ich erreicht. Ich habe auch keinen besonders anspruchsvollen Lebensstil, sicherlich aufwendiger als der Normalbürger, aber ich habe jetzt keine Ferrari-Sammlung.

Sind Statussymbole, wie teure Autos, unter Investmentbankern denn wichtig?

Was es gibt, ist eine Art Kodex. In einer gewissen Liga kauft man keine Anzüge mehr im Laden, sondern beim Schneider. Oder man trägt Pferdelederschuhe von Alden. Früher konnte ich mit einem Blick auf die Schuhe erkennen, welche Position jemand innehat. Aber in dieser Gehaltsklasse jemanden mit einem Porsche zu beeindrucken ist schwierig. Das geht in einer Reihenhaussiedlung, in der alle 4000 Euro verdienen.

Haben Sie sich jemals dafür geschämt, mehr als ein Durchschnittsbürger zu verdienen?

Nein.

Hatten Sie das Gefühl, sich Ihr hohes Gehalt zu verdienen?

Nein, wenn es nach mir ginge, würden Berufe nach dem sozialen Wert bezahlt werden. Dann würde die Krankenpflegerin plötzlich 150.000 Euro im Jahr verdienen und der Investmentbanker 20.000. Trotzdem glaube ich nicht, dass ein anderes Gehaltsschema etwas ändern würde. An so einem Händlertisch zu sitzen ist einfach geil.

Warum sind Boni dann so hoch?

Weil sie für etwas anders stehen. Irgendwann geht es nicht mehr um ein schönes Haus, ein dickes Auto. Geld wird dann von einem sinnvollen Tauschgut zu etwas Quasireligiösem, zu einem Gradmesser für deinen Wert als Mensch. Manche Hedgefondsmanager verdienen Milliarden. Was soll das? Das sind normale Angestellte.

Auch Fußballer verdienen enorme Summen. Warum regt sich darüber kaum einer auf?

Da muss ich jetzt spekulieren. Ich würde sagen, Fußballer bereiten den Menschen Freude.

Und Banker bereiten ...

... Pein?

Haben Sie Ihr Leben als Banker genossen?

Ich habe keine fünf Tage krank gefehlt und mehr als 60 Stunden die Woche abgerissen. Das macht man nicht, wenn es keine Freude macht. Ich habe Orte gesehen, die ich privat nie gesehen hätte. Ich habe Menschen kennengelernt, die ich privat nie kennengelernt hätte, ich habe mit Finanzministern zu Abend gegessen. Aber Ende der 1990er-Jahre fing das System an, den Preis von mir einzufordern: Als ordentlicher Kaufmann bin ich an einer Branche gescheitert, die damit nichts mehr anfangen konnte.

Sie bezeichnen sich gern als Spießer. Haben Sie Ihr Geld auch konservativ angelegt?

Nein, ich habe viel Geld gewonnen, viel Geld verloren – und dabei viel Stress gehabt. Es ist so ähnlich wie bei einem Roulettespieler, der an einem Abend 8000 Euro gewinnt. Dass er zuvor fünf Abende lang jedes Mal 2000 Euro verloren hat, vergisst er. Auch ich habe immer gedacht, ich bin groß im Geschäft, und hab jahrelang meine Kohle hin und her geschoben.

Würden Sie Aktienhandel als "Glücksspiel" bezeichnen?

Es ist ein Spiel, bei dem es auch darum geht, schlauer zu sein als andere. Ich sehe, wie die Autoindustrie brummt, denke mir, die brauchen mehr Stahl, und kaufe eine Stahlaktie. Und wenn die steigt, ist es unglaublich toll, weil man sich im Recht fühlt.

Dann ist es besser als Roulette?

Ja, weil du denkst, dass du Herr über dein Glück bist. Auch wenn es nur eine Illusion ist.

Foto: Luiza Puiu

ZUR PERSON

Rainer Voss (*1959) arbeitete vor seinem Ausstieg als Investmentbanker für mehrere große Geldinstitute. Bekannt wurde er durch Marc Bauders Dokumentarfilm „Der Banker – Master of the Universe“, in dem er der einzige Akteur ist: 88 Minuten lang erzählt Voss in einem verlassenen Frankfurter Bankgebäude über die Faszination und die Abgründe eines abgeschotteten Systems. Voss ist heute Privatier und lebt mit seiner Familie in Frankfurt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2014)

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