Markus Koch: "Ich war nicht der Madoff von Osthessen"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Börsenprofi und Wall-Street-Broker Markus Koch erzählt, wie er als Schüler mit dem Geld seiner Lehrer spekulierte und warum er sich als junger Aktienhändler von Crackern ernähren musste. Eine neue Krise fürchtet er nicht.

Die Presse: Der Jahresstart an den Börsen war heuer holprig. Fürchten Sie sich vor einem neuerlichen Crash wie 2008?

Markus Koch: Natürlich habe ich Angst vor dem großen Knall, aber ich weiß, dass 90 Prozent der Ängste nie wahr werden. Wer hat jemals behauptet, dass wir permanent Aufschwung haben? Wir werden wieder einbrechen, das gehört zur Natur des Marktes. Ich weiß nicht, wann es losgeht. In zwei Wochen, in zwei Jahren? Was ist, wenn es erst in zehn Jahren ist? Dann habe ich zehn Jahre lang nichts gemacht, und das ist keine Option. Ich muss dabei sein.

Halten Sie Aktien kurz- oder langfristig?

Beides. Ich muss sowieso vorsichtig vorgehen: Wenn die Wall Street nicht läuft, habe ich nicht nur meinen Job, sondern auch mein Vermögen verloren. Ich halte 70 Prozent langfristig, das schaue ich mir zweimal pro Jahr an. Dann habe ich einen Trading Account, auf dem 30 Prozent meines Vermögens liegen. Da habe ich auch Spaß damit und es gibt Tränen. Mal ärgere ich mich über meine eigene Dummheit, mal freue ich mich, wenn ich richtigliege. Bei dem Konto ist aber klar: Wenn das Geld weg ist, ist es weg, und das bringt mich nicht um.

In Österreich ist die Stimmung gegenüber Aktien sehr negativ, sie gelten als wilde Spekulation.

Was natürlich Blödsinn ist. Wenn ich mir die Zähne mit Colgate putze, ist das Procter & Gamble. Warum soll ich mir eine solche Aktie nicht ins Portfolio nehmen? Das ist ja kein Teufelszeug. In Amerika gibt es historisch betrachtet eine hohe Aktienquote. Aber nicht, weil die Amis im Umgang mit Geld so wahnsinnig smart sind. Jede Umfrage zeigt, dass die Amerikaner noch weniger Ahnung haben als die Österreicher oder die Deutschen. Aber in Amerika fördert der Staat das Thema. Und die Mentalität ist eine andere: Google, Tesla, Amazon und Facebook gehen ins Risiko und probieren Neues aus. Sie leben eine Kultur des Scheiterns. Wenn Sie in einer Wirtschaft leben, in der Sie kein Risiko mehr eingehen wollen, werden Sie nie Wachstum haben.

Betrachten Sie als europäischer Broker die Dinge anders als Ihre amerikanischen Kollegen?

Ich lebe 25 Jahre in den USA, bin aber noch immer kein Amerikaner, obwohl ich es werden könnte. Wenn ich nach Deutschland zurückkomme, vermisse ich diese Lebensleichtigkeit, die einem das Geschäftsleben einfacher macht. Man kommt schneller rein, wird schneller abgeschossen, aber damit kann ich leben. Andererseits ist Amerika gerade in meinem Bereich ein wirkliches Mahnmal. Ich finde, dass wir in den USA sehen, wie sich eine Marktwirtschaft zu einer Marktgesellschaft entwickelt. Es steht alles zum Verkauf. Auch wird die Spanne zwischen Arm und Reich nicht mehr durch eine Jacht oder ein fettes Auto definiert, sondern dadurch, ob ich mir den öffentlichen Kindergarten für meine Tochter, der 1500 Dollar im Monat kostet, leisten kann oder nicht.

Sie haben sich schon in jungen Jahren für die Börsen begeistert. Wie kam das?

Wir hatten das „Planspiel Börse“ der Sparkassen. Damit habe ich angefangen. Dummerweise habe ich auch begonnen, das Geld meiner Lehrer zu investieren. Das ist wohl der Grund, warum mein Lateinlehrer viele Jahre lang nicht mit mir gesprochen hat.

Wie konnten Sie Ihre Lehrer davon überzeugen, Ihnen Geld anzuvertrauen?

Ich habe damals das Geld vieler meiner Lehrer verwaltet. Vielleicht war es meine Überzeugungskraft, vielleicht meine Begeisterung. Ich habe mich schon früh für die Börse begeistert. Die Prognosen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds kann man in die Tonne hauen. Die Trefferquote bei denen ist zum Heulen. Andererseits ist das gut so: Wenn die es nicht hinbekommen, vielleicht schaffe ich es ja. Es ist erwiesen, dass die Vorstellung eines Gewinns an der Börse mehr Lusthormone freisetzt als der tatsächliche Gewinn. Ich wäre damals fast pleitegegangen.

Wie ist das passiert?

Ich habe auf Pump spekuliert. Die Raiffeisenbank hat mir damals den Kredit gegeben.

Einfach so?

Das waren andere Zeiten. Ich hatte meine ganzen Portfolios bei der Raiffeisen. Ich komme aus Schlüchtern, einer osthessischen Provinzstadt. Die Raiffeisen hat einfach gesagt, dann machen wir das. Den Preis musste ich zahlen. Heute würde ich nie wieder Wertpapiere auf Kredit kaufen.

Hat es Ihnen nichts gemacht, so jung so viel Geld zu verwalten?

Mit 18 Jahren ist man noch sehr sorglos. Ich bin viel rumgereicht worden in Fernsehsendern. Der Börsenguru aus der osthessischen Provinzstadt, hat es geheißen. Und dann sitzen Sie mit 18 da, und Harald Schmidt kommt. Ich habe dafür aber auch die Zeche bezahlt. Später, 1996, habe ich mit der Fernsehberichterstattung in den USA angefangen. Da war Bonanza. Alles stieg, es war der große Bullenmarkt. Ich wurde im August 2000 für den Fernsehpreis nominiert, im September kam der Crash. Wenn ich das nächste Mal nominiert werde, dann renne ich. Jeder dachte damals, er verdient Geld, weil er smart ist. In Wahrheit konnte jeder Geld verdienen, weil die Märkte gestiegen sind. Das Platzen der Internetblase war die Phase, in der man nachdenklich wird und sich die Berichterstattung ändern muss.

In den USA haben Sie eine Zeit lang Job gesucht. Wie konnten Sie sich das leisten?

Ich habe mir damals 5000 Mark von einem Freund geliehen, bin mit einem Touristenvisum rübergeflogen und von Tür zu Tür getingelt. Ich kam bei einem Aktienfonds unter und habe dort sechs Monate lang nur Umschläge geklebt. Nach diesem halben Jahr, in dem ich nicht bezahlt wurde, bin ich bei Bear Stearns als Assistent an den Trading Desk gekommen. Das war wahnsinnig hart. Im ersten Halbjahr musste ich mindestens 200 Konten eröffnen, sonst gab es kein Geld. In der Cafeteria gab es immer Salat und dazu gratis Bread-Sticks. Ich habe mich monatelang überwiegend von Bread-Sticks ernährt.

Es ist also so wie im Film?

Meine erste Bonuszahlung bei Bear Stearns war eine Matratze, weil mein Chef wusste, dass ich auf einem Teppich geschlafen habe. Da war ich sehr sauer, mein Chef hat immerhin über eine Million Dollar im Jahr verdient. Die Assistenten sind dort reihenweise in Ohnmacht gefallen, weil er ein solcher Unmensch war. Wenn man den überstanden hatte, konnte einem nicht mehr viel passieren.

Was hat Ihre Mutter dazu gesagt?

Meine Mutter hat nie gewusst, wie hart es in New York war. Sie dachte, ich habe da drüben einen Job, das war, glaube ich, für sie auch besser.

Und Sie selbst, wollten Sie nie die Branche wechseln?

Nein, was hat man denn zu verlieren mit 21, 22 Jahren? Ich wusste, dass es den Weg zurück nicht gibt. Ich hätte Bundeswehr in Deutschland machen müssen. Und nach einem Jahr aufzugeben, war einfach keine Option. Bear Stearns war damals eines der ganz großen Brokerhäuser. Für jemanden, der sich für das Thema interessiert, ist das der Traum aller Träume. Und ich habe es immerhin hingeschafft.

Der Schock, dass Sie in Deutschland Geld verloren haben, saß Ihnen nicht mehr im Nacken?

Mir war wichtig, die Schulden bezahlen zu können. Das habe ich auch geschafft. Das Einzige, was man hat, ist die eigene Ehre. Es ist keiner draußen, der sagen kann, ich habe ihn betrogen. Das ist für mich das A und O und da bin ich auch stolz drauf. Mittlerweile hat mir, glaube ich, auch mein Lateinlehrer verziehen. Es ist nicht so, dass ich der Madoff (US-Anlagebetrüger, Anm.) von Osthessen war. [ Clemens Fabry ]

ZUR PERSON

Markus Koch (*1971) wurde einer breiteren Öffentlichkeit durch seine Berichte von der New Yorker Börse für n-tv bekannt. Schon als Schüler handelte er mit dem Geld von Verwandten und Lehrern. Später erlitt er mit kreditfinanzierten Geschäften Verluste. 1992 zog er nach New York, um Broker zu werden, arbeitete kostenlos für einen Aktienfonds und schließlich für das Brokerhaus Bear Stearns. 1996 wechselte er den Job und wurde Journalist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2016)

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