Andreas Holzer: "Die Gesellschaft ist ein verwöhnter Fratz"

(c) Stanislav Jenis
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Als blinder Profibergsteiger hat es sich Andreas Holzer zur Aufgabe gemacht, den Sehenden die Augen zu öffnen. Finanziell hat er damit ausgesorgt.

Die Presse: Es ist interessant. Der Australier Nick Vujicic, der ohne Arme und Beine zur Welt gekommen ist, gehört zu den gefragtesten Motivationsrednern. Ähnlichder Österreicher Georg Fraberger.Und Sie, ein blinder Profibergsteiger, sind bei Firmen weltweit gebucht. Was sagt es über die Gesellschaft aus, dass sie Energie bei Leuten mit Handicap tankt?

Andreas Holzer: Das ist völlig simpel: Die Menschen – und je gebildeter, umso mehr – nehmen Rahmenbedingungen zum Maßstab dafür, welche Ziele sie erreichen können. Das ist der Nonsens, an dem sie scheitern. Es gibt keine Rahmenbedingungen.

Wie bitte?

Mir hat das Leben Rahmenbedingungen gegeben, mit denen ich brausen gehen könnte. Und Sie sehen, dass ich hier bei Lienz schuldenfrei ein Haus gebaut habe. Ich habe noch nie einen Berg gesehen und bin Profibergsteiger. Kürzlich war ich bei einem großen deutschen Pharmakonzern, der etwa 100 medizinische Forscher eingeladen hatte. Sie haben mich nach meinem Vortrag gefragt, was wäre, wenn sie etwas erfänden, damit ich sehen könnte?

Was haben Sie geantwortet?

„Technisch interessant, aber bitte wartet, denn das würde mein Geschäftsmodell zerstören!“ Ich habe meine Rahmenbedingung nämlich so umgemodelt, dass ich derzeit ohne sie nicht arbeiten kann.

Was suchen die Leute bei Ihnen?

Ich bekomme von den Firmenchefs meist den Auftrag, den Mitarbeitern den Kopf zu waschen. Die Chefs, sprich Leute, die im Leben weit gekommen sind, denken oft ohnehin gleich wie ich. Die mittleren Schichten sind meist nicht so gestrickt. Dem Chef aber glauben sie es nicht. Den Blinden und jenen ohne Beine glauben sie eher.

Ist der „gesunde“ Teil der Gesellschaft verweichlicht und träge?

Die westliche Kultur hat vergessen, dass für das eigene Glück niemand anderer als man selbst zuständig ist. Immer wird die Verantwortung woanders gesucht. Und bei der Initiative ist es nicht anders. Die mangelnde Eigeninitiative ist der Krebsschaden. Es herrscht eine wahnsinnige Bequemlichkeit.

Warum?

Weil wir übersozialisiert sind. Ich habe mit 17 als Heilmasseur begonnen, obwohl mir der Berufsberater nur drei passende Berufe zur Auswahl gestellt hat: Korbflechter, Bürstenbinder, Telefonist. Dabei habe ich mit 14 mein Handicap gar nicht kapiert, ich habe mir nur gedacht, welchen Knall der Berufsberater hat. Meine Eltern waren nach der Beratung fix und fertig.

Von Ihren Eltern bekamen Sie . . .

. . . keinen Groschen, weil keiner da war. Aber sie haben mir Werte vererbt. Und auch so etwas wie die Fähigkeit durchzubeißen.

Heben wir das auf die gesellschaftliche Ebene: Woher kann eine jüngere Generation, die ja nicht mehr wissen kann, woher der jetzige Wohlstand kommt, den nötigen Biss bekommen?

Erfolgreiche Menschen sind deshalb erfolgreich, weil sie ein Alleinstellungsmerkmal haben. Bei meinen Vorträgen aber sagen die Leute sehr oft, sie wissen gar nicht mehr, was sie eigentlich wollen und was ihnen gefällt.

Und was sagen Sie dann?

Ich frage, wann sie zum letzten Mal zu einem Termin zu spät gekommen sind. Da fällt ihnen gleich etwas ein. Dann frage ich, was sie in dieser Zeit getan haben. Genau dort ist man an dem richtigen Punkt: wenn man das Gefühl für Zeit und Raum verliert. Wenn man nicht merkt, dass man arbeitet, ist man nahe an dem, wo man hingehört.

Warum haben Sie als Kind Ihre Eltern gebeten, nirgends zu sagen, dass Sie blind sind?

Das hätte mich einfach gebremst. Die Sache ist, ich muss jemand anderen führen, damit er mich führen kann. Mein Tourenpartner etwa weiß nicht, wie er mich über eine Gletscherspalte bringt. Er muss mir nur das Nötige artikulieren und so quasi das Augenlicht leihen. Wie ich aber rauf- und runterkomme, muss ich wissen. Denn ich bin der Spezialist der Blindheit.

Haben Sie nicht manchmal gedacht: Mist, ich brauche immer wieder jemanden, der mir hilft?

Nein. Immer brauche ich übrigens nicht jemanden, aber schon viel. Als Kind beim Radfahren habe ich immer ein Geräusch gebraucht – ein rollendes Rad vor mir etwa, damit ich mitfahren konnte. Nur vorausfahren konnte ich nie. Heute denke ich mit Schaudern zurück.

Heute wäre so etwas ohnehin undenkbar, die Vorsicht in der Gesellschaft ist größer als früher.

Die Gesellschaft ist ein verwöhnter Fratz. Es geht alles, es wird ihr alles versichert und nachgelassen, sie hat keine Konsequenzen zu fürchten, und dann fordert sie immer mehr und wird immer frecher. Aber sie hat keine Schneid.

Sie hatten offenbar genug davon. Neben der Arbeit als Masseur haben Sie Tanzmusik gespielt . . .

. . . und damit Geld verdient, sodass ich mit 40 mein Haus gebaut habe. Dann auf einmal passiert mir das mit dem Profibergsteiger. Auf einmal geht die Rakete mit dem Geldverdienen los, obwohl ich gar keines mehr brauche.

Sie haben also ausgesorgt?

Mehr als.

Und wie verwalten Sie das Geld?

Sehr konservativ. Ich kaufe Wohnungen, vermiete sie. Alles, was ich besitze, kann ich angreifen.

Das schlägt sich mit Ihrer sonstigen Haltung, Risiko einzugehen und Grenzen auszutesten.

Es schaut nur von außen so aus, dass ich riskant agiere. Aus meiner Sicht tue ich es überhaupt nicht. Ich gehe nicht an die Grenze, weil ich es nicht überleben würde.

Wem sind Sie im Leben dankbar für Hilfe?

Neben den Eltern meiner ersten Lehrerin, die mich in der Schule hielt, obwohl Eltern meiner Mitschüler Unterschriften dagegen sammelten. Dann auch dem, der mich als Erster in ein Seil gebunden und in die Dolomiten mitgenommen hat. Heute sagen seine Freunde: Hätten wir das gewusst, hätten auch wir den Holzer mitgenommen. Aber diejenigen, die das sagen, hätten es morgen auch nicht gewusst. Sie wissen es nie. Diese Leute brauchen wir nicht. Uns bringen nur die weiter, die es jetzt wissen und den Versuch wagen.

Wie gestaltete sich Ihr erster Versuch als Vortragender?

Ich war 2004 bei Barbara Stöckl zu einer Sendung über Barrierefreiheit eingeladen. Danach rief mich der Generaldirektor von Castrol Motoröl Österreich an, um mich für eine Automobiltagung mit 800 Leuten zu buchen. Ich dachte, er braucht einen Masseur. Dann aber habe ich mir gedacht, wenn er sich traut, mich als Redner einzuladen, dann traue ich mich auch zu reden. Die Leute sind völlig ausgeflippt, mit Standing Ovations.

Heute halten Sie wie viele Vorträge pro Jahr?

Zwischen 50 und 100. Eben war ich in Portugal. Jetzt habe ich Anfragen aus Dubai und Bombay – die IT-Branche dort boomt ja. In Österreich bin ich noch ein Geheimtipp. In Deutschland haben die großen TV-Stationen große Reportagen mit mir gemacht. Der ORF hat ständig geschlafen. [ Stanislav Jenis]

ZUR PERSON

Andreas Holzer (49), von Geburt an blind, ist Profibergsteiger und internationaler Vortragsreisender. Der gebürtige Osttiroler hat sechs der Seven Summits, der jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente, bestiegen. Zuvor arbeitete er 26 Jahre als Heilmasseur und nebenbei als Tanzmusiker. Sein Buch „Balanceakt“ ist bereits in achter Auflage erschienen. Holzer ist verheiratet und lebt in Tristach/Lienz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2016)

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