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Wildes Mädchen mit Kalkül

Charli XCX poses backstage during the 42nd American Music Awards in Los Angeles
Charli XCX poses backstage during the 42nd American Music Awards in Los AngelesREUTERS
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Ihre Plattenfirma lobpreist sie als "Next Superstar". Dabei ist Charli XCX längst einer. Die "Presse am Sonntag" traf das wilde Mädchen auf einen Plausch in Berlin.

Mit penibel organisiertem Krawall hat sie früh begonnen. Mit 14 Jahren borgte sich die als Charlotte Aitchison geborene Charli XCX Geld von ihren Eltern, um aus verstreuten Liedchen ein erstes Album zu machen. Am Ende veröffentlichte sie dieses doch lieber nicht. „Ich war von klein auf eine Angeberin“, sagt sie mehr triumphierend als verschämt zur „Presse“. Dabei lümmelt sie in kalkulierter sexy Pose auf dem Polstermöbel und zieht einen Flunsch. „Einer meiner frühesten Songs hieß ,Dinosaur Sex‘. Man kann ahnen, dass er etwas seltsam war.“

In Kindertagen hörte sie gerne Britney Spears und die Spice Girls, als Teenager schwenkte sie rasch um zu den wilden Acts des französischen Ed-Banger-Labels. „Cassius und Mr.Oizo mochte ich sehr gerne. Das Duo Justice aber wurde zu meiner Obsession“, sagt sie und ist ein wenig stolz auf ihren guten Geschmack in ganz jungen Jahren. Zu Recht. Wacker warf sie sich in die Großstadt London. Das Mädchen aus dem ländlichen Idyll von East Hertfordshire probierte sich bereits als 15-Jährige bei Ostlondoner Raves als Performerin. Ein lokaler Promoter fragte sie, was er auf die Flyer drucken lassen sollte. „Charli XCX!“, rief sie. Für XCX hat sie zwei Erklärungen. Eine davon fällt unter Jugendschutz. „X-Rated Cunt X-Rated“, erklärt sie die damalige Chuzpe.

Frech ist die 22-Jährige immer noch. Wenngleich millionenschwer. Ihre ersten Singles und EPs, die sie ab 2011 veröffentlichte, waren Achtungserfolge. So richtig los ging es, als sie 2012 mit dem Schweden Patrik Berger den schreienden Synthiepopsong „I Love It“ komponierte, den sie mit dem Duo Icona Pop an die Spitze der britischen Charts brüllte. Auch in den USA wurde er zum Millionenseller. „Ich wusste, dass der Song super ist, aber wer rechnet schon damit, dass es auch die Masse kapiert? Geschrieben hab ich ihn innerhalb einer halben Stunde.“ Ab sofort war Charli XCX sowohl für Schmalspurproduzenten als auch für Industriekapitäne von Interesse. Ihre Musik weist Spuren von Goth, New Wave und räudigem Riffrock auf. Dazu kommen Einflüsse aus Rap, R&B und 90s-Bubblegum-Pop. So rau sie sich gibt, eine nur emotional agierende Punkprinzessin wie Courtney Love ist sie nicht.

Die Regeln der Hitparade. Die große Stärke von Charli XCX ist, dass sie Underground und Mainstream mit überlegenem Gestus zusammenführt. Sie verarbeitet die schrägsten musikalischen Elemente innerhalb der von den Hitparaden vorgegebenen Parameter. Zu ihrer Raffinesse zählt, dass sie manch zerebrales Kalkül als Bauchentscheidung darstellt. Ihre Erdigkeit ist wohldurchdacht, die manchmal irre wirkende Grölerei durchchoreografiert. Ihren bislang größten Coup konnte sie im Vorjahr mit dem Electro-Hop-Song „Fancy“ landen. Gemeinsam mit der australischen Rapperin Iggy Azalea inszenierte sie einen Ausbruch aus den konventionellen Grenzen einer herkömmlichen Bildungsanstalt. „Iggy hatte bei unserem ersten Treffen schon eine tolle Hookline und diese herrlich simple Textpassage ,I be I-G-G-Y, put my name in bold‘. Da setzte ich an, mit meinen Fantasien über das wilde Leben.“

First kiss lika a drug. Fast 450 Millionen Klicks hat das dazugehörige Video auf YouTube. Gedreht wurde es als eine Art kurzes Remake der College-Komödie „Clueless“. Obwohl Iggy Azalea visuell dominiert, kam auch Charli XCX zu feinen Szenen. Insbesondere in der Szene, in der sie Exzess fordert. „Trash the hotel, let's get drunk on the mini bar, chandelier swinging, we don't give a fuck.“ Subtile Ausdrucksweise ist ihr im Teeniesegment der Popmusik nicht von Nutzen. Ihr Talent liegt darin, in ihren Liedern das herauszubrüllen, was durchschnittliche Mädchen ersehnen, aber nicht artikulieren können.

„Sucker“, das am 13. Februar erscheinende zweite Soloalbum von Charli XCX enthält krachige Teenagerhymnen sonder Zahl. Niemand anderer versteht es derzeit so gut, die Wut der britischen Vorstädte mit dem Furor der US-Ghettos zusammenzudenken. Dazwischen platziert sie ein paar intellektuelle Glanzlichter. Kollaborationen mit Rostam Batmanglij, dem Keyboarder der Hipsterband Vampire Weekend, oder mit Ariel Pink, dem Avantgardisten mit dem rosafarbenen Haar der Weird-Americana-Bewegung. Mit der ersten Single „Boom Clap“ glückte Charli XCX erstmals unter eigenem Namen ein Top-Ten-Hit in den USA. „First kiss just like a drug! Under your influence you take me over, you're the magic in my veins. This must be love!“ triumphiert sie zu einer infektiösen Nintendo-Popmelodie. Naivität und Raffinesse werden hier eins. Auch auf „Break The Rule“ geriert sich Charli XCX als schulmädchenverführende Rebellin. Zum technoiden Fiepsen eines grässlichen Keyboards brüllt sie ihre zart selbstzerstörerische Losung: „I don't wanna go to school, I just wanna break the rules, going to the discotheque, getting high and getting wrecked.“ Hier will jemand der Auflösung des eigenen juvenilen Pathos in der Beliebigkeit nicht mehr zusehen. Es soll gehandelt werden. Aufbrechen, weggehen, verschwinden, egal. Nur raus aus der Konvention. Auch die Gefühle in Liedern wie „London Queen“ und „Since You Been Gone“ sind von großer Unmittelbarkeit. In keinem, der hier verhandelten Affekte hat sich auch nur eine Spur Fatalismus abgelagert. Klappt es mit dem Sex mit dem Liebsten nicht so recht, wird selbst Hand angelegt. „Body of My Own“ ist die expliziteste Hommage an weibliche Masturbation seit Cyndi Laupers „She Bop“.

Karriere geht vor. Im wirklichen Leben hat Charli XCX derzeit vor allem die Karriere im Kopf. Für Liebe ist keine Zeit: „Ich werde mir ein Empire aufbauen. Wie mein Vorbild Sia Furler möchte ich meine Fingerabdrücke überall in den Popcharts hinterlassen. Das Gefühl, nicht zu wissen, was in naher Zukunft passiert, hat für mich mehr Reiz als jede fixe Partnerschaft.“

Steckbrief

Charli XCX
wurde 1992 geboren als Charlotte Emma Aitchison in Cambridge, UK, als Tochter eines Schotten und einer aus Uganda stammenden Inderin.

2005 begann sie sich ernsthaft mit Musik zu beschäftigen. Doch erst 2011 wird die erste EP auf dem Independent-Label Orgy Records veröffentlicht.

Im Jahr darauf wird sie Ko-Komponistin des Welthits „I Love It“ von Icona Pop, 2013 folgt ihr Majorlabeldebüt „True Romance“. 2014 erscheint „Fancy“, eine Electrohopnummer mit Rapperin Iggy Azalea. Sie wird ein Millionenseller.

Ihr zweites Majorlabelalbum „Sucker“ erscheint am 13.Februar in Österreich. CharlieXCX tourt im Vorprogramm von Katy Perrys „Prismatic“-Tour. Am 26.2. ist sie in der Stadthalle zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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