Provozieren und beunruhigen: Ein Loblied auf die Störenfriede

Wer setzt Zeichen? Wo sind die Unbequemen, die uns auf ein Thema stoßen? Wer bringt uns zum Nachdenken?

Am Sonntag wählt Wien. Eines der heißen Themen im Wahlkampf ist die Ausländerfrage. „Es geht uns um die Wiener“ steht auf den Wahlplakaten, „Zuwanderungsstopp aus nicht europäischen Ländern. Werde nicht Fremder im eigenen Gemeindebau. Keine islamischen Mehrzweck-Zentren. Minarette raus. Schluss mit Multikulti“, lauten die Parteiprogramme.

Aber es gibt auch ernsthafte Diskussionen über das Problem. Jenseits aller theoretischen Ansätze steht das Wirken von Ute Bock. Jeder Flüchtling findet bei ihr einen Platz – ob mit legalen Dokumenten oder ohne sie. Ute Bock arbeitet Tag und Nacht in einem Haus, das bald abgerissen werden soll. Sie ruft um Hilfe, damit sie mit ihren Schützlingen nicht auf der Straße steht. Sie mietet neue Wohnungen an, überschreitet das vereinbarte Budget.

Will man sie zur Vernunft bringen, ihr zureden, sie solle ihre Aktivitäten einschränken, um ihren Verein nicht wieder in Schulden zu stürzen, erwidert sie: „Wenn vor dir eine obdachlose Familie mit drei Kindern steht – was machst du dann?“ Ute Bock ist für viele ein Ärgernis, aber sie bringt alle zum Nachdenken. Sie setzt Zeichen.

Am Anfang waren auch Zeichen

Zeichen gibt es schon bei der Erschaffung der Welt, am dritten Tag. Die Lichter am Himmel sind Zeichen zur Unterscheidung von Tag und Jahr. Kain gibt Gott ein Zeichen auf die Stirn, damit ihn keiner erschlägt.

Abraham setzt Gott ein Zeichen für seinen Bund mit den Menschen mit der Beschneidung, Noah mit dem Regenbogen. Der Sabbat wird als Zeichen gesetzt für den Tag, an dem Gott und Mensch ruhen, der Mensch nimmt sich Zeit für seinen Schöpfer.

Propheten sind oder setzen Zeichen in kritischen Zeiten. Jeremia geht mit dem Joch eines Ochsen durch die Straßen Jerusalems, um vor der Unterwerfung zu warnen. Jesaja geht drei Jahre nackt herum, um vor der Erniedrigung der Menschen zu warnen.

Der Wecker, der schrillt

Jesus tut viele Zeichen, sieben zählt das Johannesevangelium auf. Mit jedem davon will er ein Anliegen vermitteln. Bei der Hochzeit zu Kana verwandelt er Wasser in Wein – er bringt Freude. Den Beamtensohn, den Blinden, den Gelähmten heilt er – die Kranken und Außenseiter holt er in die Mitte.

Bei der großen Menschenversammlung vermehrt er Brot – er stillt Hunger und setzt sich für gerechte Güterverteilung ein. Er wandelt auf dem See und fordert damit das Vertrauen der Jünger heraus. Mit der Erweckung des Lazarus zeigt er sich als Herr über Leben und Tod, als Mitschöpfer. Mit allen Zeichen will er die Menschen aufwecken und in ihre Aufgabe hineinführen. Was sollen wir tun? So fragen ratlos die Politiker in Jerusalem.

Menschen, die Zeichen setzen, sind Störenfriede. Sie provozieren, beunruhigen, bringen zum Nachdenken: Was sollen wir tun? Die Probleme eines Systems – ob Gesellschaft, Firma oder Familie – zeigen sich an den Extremen, an den Unbequemen, an den „Kranken“. Sie sind der Wecker, der schrillt, damit wir merken: Es ist Zeit zum Aufstehen.

Wer setzt Zeichen? Wo sind Störenfriede, die uns auf ein Thema stoßen? Wer bringt uns zum Nachdenken?

Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentliches Rundmail des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskräfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2010)

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