Rollenspiel

Die heutige Zeit fürchtet Rollenklischees der Geschlechter – und versucht sie daher durch neue zu ersetzen. Das Problem liegt aber woanders. Meine ich.

In einer Umgebung aufgewachsen, in der Frauen und Männern gleicher Respekt entgegengebracht wurde, habe ich erst aus dritter Hand eine Anschauung der Geschlechterrollen-Problematik bekommen. Es war ein beim Skilift-Anstehen belauschtes Gespräch. Sie wollte noch gerne auf der Piste bleiben. Er war fürs Nachhausefahren, denn er machte sich Sorgen um ihre Erschöpfung. Als ich gerade anfing, seine Fürsorglichkeit zu bewundern, sagte er, warum: „Sonst bist du heute wieder zu müde, mir das Nachtmahl herzurichten!“

Später bin ich eklatanteren Fällen begegnet. Etwa der jener Kollegin, die schon längst renommierte Wirtschaftsjournalistin war, als ihre Mutter ihr, wie sie mir erzählte, immer noch Stellenanzeigen für Sekretärinnen schickte. Mehr konnte sich die Mutter für ein Mädchen aus einfachem Haus einfach nicht vorstellen.

Damals wie heute erschien mir als das eigentliche Problem nicht die Männer- und Frauenrolle, sondern ein Mangel an Tugenden, an wertschätzender Haltung. Am Skilift mangelte es an der Ritterlichkeit, halt einmal selbst das Abendessen zu machen. Im Fall meiner Kollegin war es das Unvermögen, der eigenen Tochter mehr zuzutrauen als sich selbst. Wenn man freilich die Rollenbilder als Ausfluss der Unterdrückung der weiblichen Klasse durch die männliche sieht, ist Tugend natürlich keine Antwort. Klassenkampf will Befreiung, nicht besseren Umgang. Aber weil Zusammenleben von Männern und Frauen eben kein Klassenkampf ist, bringt dieser Ansatz vor allem eines: Krampf.

Zwei aktuelle Beispiele: Der ORF berichtet über eine Studie, wonach Buben im Kindergarten ganz anders auf einen Kindergärtner reagieren als auf eine Kindergärtnerin – und zwar positiv (in Salzburg wollen die Grünen nun auch mehr Kindergärtner). Aber unvermeidlich kam im Bericht die ebenso bange wie überflüssige Frage, ob es denn dann nicht im Kindergarten zu einer Wiederaufrichtung „konventioneller männlicher Geschlechterrollenklischees“ käme.

Im Juni erschien in der „Zeit“ ein Interview mit dem Soziologen Michael Meuser darüber, dass viele heutige Frauen nach dem ersten Kind doch wieder die traditionelle Mutterrolle wählen. Sowohl Meuser wie die Interviewerin sprachen von einem Problem der „Gleichberechtigung“ – als ob den Frauen andere Rollen per Gesetz untersagt wären. Gar nicht angedacht wurde hingegen die Möglichkeit, dass es sich bisweilen auch um eine frei – vielleicht sogar um eines emotionalen Gewinns willen – gewählte Lebensweise handeln könnte. Jedenfalls dürfte es nicht die Rolle gewesen sein, die die Soziologie den Frauen vorschreibt.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.08.2014)

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