Fortsetzung fortgesetzt

Grundsatzfragen gehören politisch beantwortet, nicht juridisch. Hier macht das Fortpflanzungsgesetz ein gefährliches Manko deutlich.

Ulrike Weiser hat in der „Presse“ einen Leitartikel zum Fortpflanzungsmedizingesetz geschrieben. Wie immer gut argumentiert– aber sie beginnt schon mit der falschen Frage: „Wer darf Kinder haben?“ Niemandem werden Kinder verboten. Es geht vielmehr darum, welche Technologien wir in diesem Land zulassen wollen und unter welchen Umständen. So wie beim Atomsperrgesetz 1978 nicht die Frage war, wer Atomstrom haben darf, sondern dass eine nützliche, aber letztlich doch menschenfeindliche Technologie in Österreich nicht erlaubt sein soll.

Weiser stellt auch fest, dass es zur Frage der Fortpflanzungstechnologie divergierende persönliche Überzeugungen gibt und daher ethischen Dissens. Und deswegen habe die Politik „das getan, was sie in solchen Situationen gern tut: nichts. Sie hat sich erst gerührt, als es juristisch nicht mehr anders gegangen ist.“ Das stimmt und ist beunruhigend.

Die Demokratie erhebt ja den Anspruch, einen Interessensausgleich in einer Gesellschaft zustande zu bringen, die nicht nur in Sachfragen uneinig ist, sondern in der auch unterschiedliche Bilder vom Menschen und seiner Würde konkurrieren. Das kann aber nicht heißen, dass sich die Politik in Grundsatzfragen keine eigene Position erarbeitet und stattdessen, wie Weiser empfiehlt, im Zweifel fürs Erlauben entscheidet. Das wäre so neutral wie die Regel, dass Schiedsrichterentscheidungen im Zweifel für Rapid auszufallen haben. Das Erlauben ist ja eine der im Streit liegenden Positionen.

Eine Politik, die ethische Debatten nicht führen will, wird sich immer mehr auf den ungefährlichen gemeinsamen Nenner Wirtschaftswachstum beschränken. Grundsatzfragen entscheiden dann die Höchstgerichte. Nicht, wie gute Politiker, wertend und im Blick auf die Gesamtentwicklung der Gesellschaft, sondern nur gemäß der Frage, ob gleichbehandelt wird. Sie müssen fast zwangsläufig ethische Kompromisse, die Problematisches in engen Grenzen erlaubt haben, auf immer weitere Kreise ausdehnen.

So verlangt nun ein Gericht, dass die strengen Auflagen für die künstliche Zeugung im Labor erweitert werden. Weil damit aber wieder neue Ungerechtigkeiten entstehen, gibt es in ein paar Jahren die nächste Ausweitung – etwa auf Alleinstehende. Und auch die Einführung der Präimplantationsdiagnostik wird damit gerechtfertigt, dass es Embryonalselektion ja schon mittels Abtreibung gibt.

Eine Gesellschaft, die Grundsatzentscheidungen aus der Politik verbannt, ist dazu verurteilt, einmal gewählte Bahnen immer weiter zu gehen. Auch in eine Kultur der technologischen Kälte.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

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