Ist Gott der Täter?

Wieder einmal hat "Charlie Hebdo" aufgeregt – mit einer Karikatur, die Religion, vor allem monotheistische Religion, unter Generalverdacht stellt.

Erzeugt Religion Gewalt? Die Karikatur von „Charlie Hebdo“ zum ersten Jahrestag des Anschlags auf die Redaktion scheint das zu bejahen: Unter dem Titel „Der Attentäter ist immer noch auf freiem Fuß“ sieht man einen älteren, rüstig sprintenden Herrn in blutbeflecktem Burnus und Sandalen mit Maschinenpistole. Das über ihm schwebende „Auge Gottes“ in einem Dreieck weist die Figur ikonografisch als Gottvater der christlichen Dreifaltigkeit aus. Das macht nachdenklich, denn das Attentat wurde ja von Muslimen im Namen Allahs verübt, und nicht von Christen im Namen Gottes, des Vaters.

„Charlie Hebdo“ hatte allerdings gar keine Möglichkeit, Allah zu zeigen, denn für ihn gibt es keine wiedererkennbare Bildsprache. Interessant, dass man da auf eine christliche Darstellungsweise zurückgriff. Offenbar ging es bloß um eine allgemeine Darstellung Gottes, wo einer wie der andere ist. Aber hätte es etwa auch die indische Göttin Kali mit ihrer extravaganten Garderobe aus Schädeln und abgeschlagenen Armen getan?

Eher nein. Man darf hier eine Visualisierung der These vermuten, wonach der eine Gott, sprich die monotheistische Religion inhärent gewalttätig und somit für den Terrorismus hauptverantwortlich ist. Diese sogenannte Monotheismusthese, die Phänomene wie den Baader-Meinhof-Terror, die Gestapo oder auch die Punischen Kriege ja nur sehr unzureichend erklärt, ist allerdings in ihrer simplen Form empirisch widerlegt.

Gewalt ist dem Menschen inhärent. Religion hat sich sowohl dabei bewährt, den Menschen das Zuschlagen abzugewöhnen, als auch dabei, es ihm wieder anzutrainieren, wozu es eine Rechtfertigung und eine kollektive Herabsetzung der anderen braucht. Religion kann das – aber eben auch nicht besser als Ideologien, Nationalismen, Clandenken, schlechte Sitten oder ein Alkohol-Testosteron-Cocktail wie in Köln. Dort wäre den Tätern, wären sie denn wirklich gottesfürchtig gewesen, sowohl das Trinken als auch das Berühren fremder Frauen streng untersagt gewesen.

Nein, Gott ist nicht der Täter von Paris. Trotzdem wird der Generalverdacht gegen den Eingottglauben populär bleiben. So hat Rainer Nikowitz im „Profil“ mit Blick auf die Pariser Anschläge den Slogan gefordert: „Stop praying – start thinking“, als ob das eine das andere ausschließen würde. Er hätte gern 2016 zum „Jahr des Unglaubens“ erklärt und erhofft sich davon offenbar etwas für den Frieden. Und doch – da bin ich sicher – würde auch er sich, wenn ihm nachts in einer finsteren Gasse ein paar unheimliche Typen entgegenkommen, nicht denken: „Hoffentlich sind das Atheisten!“

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2016)

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