So sehen untergehende Kulturen aus

Frankreichs Justiz verbietet einen Spot, weil er für eine lebens- und liebesbejahende Haltung Mut macht, die verstören könnte.

Zu den einsamsten Menschen unserer Gesellschaft gehört die werdende Mutter, die gerade erfahren hat, dass ihr Kind Trisomie 21 hat. Europäische Hilfsvereine haben 2014 für sie das Video „Dear Future Mum“ produziert, in dem Kinder mit Trisomie 21 den Satz beantworten: „Ich fürchte mich – was für ein Leben wird mein Kind haben?“

Die Kinder sagen, was sein wird: „Es wird dich umarmen.“ „Es wird in die Schule gehen wie alle anderen.“ „Es wird seinem Vater helfen, das Fahrrad zu reparieren.“ „Es wird dich mit selbst verdientem Geld zum Essen ausführen können.“ „Es wird Schwierigkeiten geben. Große. Aber ist das nicht für jede Mutter so?“

Am Ende heißt es: „Es wird glücklich sein. So wie du.“ Und die Kinder werden von ihren stolzen Müttern umarmt. Der Abspann sagt: „Gemeinsam können wir das möglich machen.“ Zweieinhalb Minuten mit der emotionalen Kraft eines Hollywood-Films – denn es geht um das große Thema, das uns seit jeher bewegt: die Liebe, die allem standhält.

Das macht das Video subversiv. In Frankreich hat der nationale Fernsehrat die Ausstrahlung einer Kurzfassung im Werbeblock der privaten Sender M6, D8 und Canal+ untersagt: Das Video sei unpassend, da es Frauen verstören könnte, die abgetrieben haben. Nun hat der Verwaltungsgerichtshof den Fernsehrat bestätigt. Angemessen ist nämlich nur Werbung für Kommerzielles und für karitative Organisationen – aber nicht für eine Haltung. Jedenfalls nicht für die, dem Leben und der Liebe zu trauen. Bezeichnend für eine Gesellschaft, die die Frauen aus der Hinterstube der Engelmacherin herausgeholt hat, nur um sie acht- und mitleidlos dem professionellen Abtreiber zuzuführen?

Die Forschung bestätigt: Die allermeisten Kinder mit Trisomie 21 empfinden ihr Leben als glücklich und sind eine Freude für ihre Eltern. Dennoch ist es eine heroische Liebe, sich für diese Kinder zu entscheiden. Zugleich mit dem französischen Gericht hat auch der Papst darauf hingewiesen, dass Frauen, denen dieser Mut nicht gegeben war (bzw. genommen wurde), eine schwere seelische Last mit sich tragen. Der Papst sagt: Diese Last kann aufgearbeitet werden, wenn man sich ihr stellt – am besten im sicheren Raum der zugesagten Vergebung, im Beichtstuhl. Das Gericht sagt das Gegenteil: An dieser Last darf nicht gerührt werden, nicht einmal dadurch, dass ein Spot Mut und Liebe feiert. Das ist neue Gewalt an den Frauen – und ein Todesbote unserer Gesellschaft. Hat sie denn noch Zukunft, wenn es ihr unzumutbar geworden ist, an die Liebe erinnert zu werden, die allen Widrigkeiten standhält?


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien. ?

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2016)

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