Culture Clash

Zwischen Wupper und Düssel

Eine deutsche Schulleitung provoziert, indem sie muslimischen Schülern das sichtbare Beten im Schulgebäude verbietet. Rettet man so das Abendland?

Ein Wuppertaler Gymnasium hat festgestellt, dass muslimische Schüler im Schulgebäude „deutlich sichtbar beten, signalisiert durch rituelle Waschungen auf der Toilette, das Ausrollen von Gebetsteppichen, das Einnehmen von entsprechenden Körperhaltungen“ – und hat selbiges verboten. Die Schulaufsicht in Düsseldorf deckt der Schulleitung den Rücken: Einige Lehrer und Schüler hätten sich bedrängt gefühlt, und das „Verbot des Betens auf provozierende Art in der Schulöffentlichkeit“ solle „das friedliche Miteinander und den Schulfrieden sichern“.

Wuppertal hat eine bemerkenswerte Bevölkerung. Sie hat 1930 aus ganz freien Stücken dafür gestimmt, die elegant klingende Stadt Barmen-Elberfeld umzubenennen in, eben, Wuppertal. Und nirgendwo in Deutschland, heißt es, gebe es mehr Religionen und Sekten. Allein die Zeugen Jehovas haben 15 Gemeinden. Ausgerechnet dort nimmt nun eine Schule das Beten in dem Moment als provozierend wahr, in dem es sichtbar wird. Nachdem weder Waschungen noch das Ausrollen von Teppichen oder Verbeugungen gen Mekka andere Menschen gefährdet, behindert oder in ihrer Würde herabsetzt, erhebt sich die Frage, was genau daran das Provokante ist.

Möglicherweise wird das Recht auf freie Religionsausübung so verstanden, dass es eben nur solange gilt, solange sich die Religion genauso anfühlt wie das Christentum: gebetet wird privat, keine Kleidungsvorschrift, und wenn schon öffentlicher Glaube, dann nur am Sonntag. Wer einen Glauben hat, der anders ist, etwa öffentliches Beten vorschreibt oder eine Kopfbedeckung, ist ein Unruhestifter, provoziert Unbehagen.

Hier stellt sich die Betroffenheitskultur selbst ein Bein, wenn jeder, der sich bedrängt fühlt, schon als Opfer gilt. Und wenn sichtbares Beten von Muslimen wirklich das friedliche Miteinander gefährdet, gibt es auf Dauer nur drei Möglichkeiten. Entweder wir gewöhnen uns daran, dass andere anders beten. Oder wir verbieten sichtbares und daher provokantes Frommsein überhaupt (tschüss Fronleichnamsprozession). Oder wir entledigen uns fremder Religion, was historisch meist eine Kombination von Zwangsbekehrung, Massenausweisung und Massenmord bedeutet.

Ich wäre für das Gewöhnen. Das bringt aber nur dann friedliches Miteinander, wenn man den Radikalen das Wasser abgräbt. Gerade auch unter den Muslimen. Unsere Kultur sollte sich – schon sehr früh – für den wunderbaren Wert der inneren Freiheit begeistern. Zwischen Wupper und Düssel scheint man aber zu glauben, dass man junge Gläubige eher mit Gebetsverboten zu braven Europäern erziehen kann.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2017)

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