Culture Clash

Geburtstag der Menschheitsfamilie

Das Ostergeschehen ist eigentlich der ultimative Culture Clash, denn es hat den Sinn für die Würde aller Menschen geöffnet. Seither ändert sich die Welt.

Was vor rund 2000 Jahren geschehen ist, macht die Welt in einem andauernden Veränderungsprozess milder, gütiger, rücksichtsvoller. Es war das Schlüsselerlebnis von Tod und Auferstehung des Jesus Christus, das seinen Anhängern sagte: Es gibt einen Gott, der die Menschen als freie Wesen erschaffen hat. Sie missbrauchen ihre Freiheit, indem sie verachten und vernichten. Aber Gott liebt sie so sehr, dass er lieber mit ihnen den Missbrauch erleidet und ihre Schuld auf sich nimmt, als dass er ihnen die Freiheit nimmt. Die sich im Erlösungsgeschehen zeigende göttliche Wertschätzung des Menschen gilt noch dazu allen gleich, unabhängig von Herkunft, Sippe, Stand oder Geschlecht. Und am Ende triumphiert nicht die Gewalt, sondern die Hingabe, das Gute hat das letzte Wort.

Die humanitäre, egalitäre und universalistische Botschaft von der großen und gleichen Würde aller Menschen war ein zivilisatorisches Erdbeben, dessen Druckwelle bis heute spürbar ist. Sie hat Kulturen humanisiert, in denen Menschenopfer und Gladiatorenkämpfe, Kinderarbeit und Sklaverei, Steinigungen und Kreuzigungen selbstverständlich waren. Sie hat der gegenseitigen Liebe in der Ehe einen festen Platz gegeben, den Sippenegoismus gesprengt und den Blick auf die Menschheitsfamilie freigelegt: „Jede Fremde ist ihr Vaterland und jedes Vaterland eine Fremde“, schreibt Diognet im zweiten Jahrhundert über die Christen.

Dabei hat das Christentum nicht nur in die Welt hineingewirkt. Die verwandelte Welt hat aufklärend auch in die christlichen Kirchen zurückgewirkt, die ja selbst immer wieder in vorchristliche Machtmuster zurückfallen. Heute können sie wieder den Beweis dafür geben, dass Wahrheitsanspruch und Toleranz kein Widerspruch sind. Freilich ist die Transformation zu einer milderen Welt weder ein gradliniger Weg gewesen noch frei von Rückschlägen und schon gar nicht abgeschlossen oder auch nur in den bisherigen Errungenschaften gesichert. Die Barbareien von Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus konnten sich in „christlichen“ Ländern ereignen. Und im christlichsten Land Asiens kann heute ein gewählter Präsident den Lynchmord verherrlichen. Doch der Sauerteig wirkt weiter: etwa, indem der Erzbischof von Manila am Gründonnerstag Angehörigen von Lynchmordopfern die Füße wäscht. Und wenn die Kopten in Ägypten heuer wegen der Anschläge am Palmsonntag nur sehr reduzierte Osterfeiern durchführen, so ist das vielleicht ein Triumph für den IS und alle Verächter und Vernichter dieser Welt. Aber nur ein vorübergehender – denn das letzte Wort hat die Liebe.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2017)

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