Culture Clash

Ehe für alle

Ehe für alle – nur noch für kurze Zeit! Warum ein Ehebegriff, der Fruchtbarkeit nicht mehr als wesentlichen Bestandteil kennt, unweigerlich zerbröselt und uns zukunftslos macht.

Alle Menschen sollen ihrer Liebe auf gleiche Weise öffentlich Ausdruck verleihen können – darum soll die Ehe nicht mehr nur als Kombination von Mann und Frau verstanden werden. Dieses Argument der „Ehe für alle“ ist heute bei uns mehrheitsfähig. Das zeigt einen hohen Grad an Empathie in der Bevölkerung. Und gleichzeitig zeigt es, dass uns etwas Entscheidendes verloren gegangen ist.

Denn früher war klar, dass die Ehe nicht nur Ausdruck von etwas war, sondern auch eine Funktion für die Gesellschaft und ihren Fortbestand hatte. In allen Kulturen der Welt waren die Ehetraditionen Teil einer – wohl evolutiv entwickelten – Überlebensstrategie. Die normative Kraft des sozialen Grundmusters einer auf Nachkommenschaft ausgerichteten Ehe hat Männer und Frauen dazu gebracht, sich früher und fester und damit nachwuchsfördernder aneinander zu binden, als sie es sonst getan hätten.

Der spezielle Charakter von Hochzeitsfesten, die oft mehrere Tage gedauert und das ganze Dorf – bei Herrscherfamilien das halbe Land – versammelt haben, hat die Freude und Verheißung der Fruchtbarkeit widergespiegelt: Der Strom des Lebens geht weiter. Wir sind kein absterbender Ast am Baum der Menschheit. Wir sind Teil einer Generationenfolge. Wir haben Zukunft.

Fruchtbarkeit war nie der einzige Aspekt der Ehe, aber immer ein wesentlicher. Um sie zu hegen, hat das Recht der Ehe besonderen Schutz gegeben. Und Vollzug der Ehe war der Zeugungsakt. Ohne den Bezug auf die Weitergabe des Lebens (mit der dafür notwendigen Kombination von Mann und Frau) wird die Ehe etwas Privates und verliert ihre gesellschaftliche Relevanz. Dem trägt der Gesetzgeber Rechnung und löst die Charakteristika der Ehe Stück für Stück auf. Bis sie allen alles und damit zum Nichts geworden sein wird.

Ein starkes Familienleitbild, das Kinderwunsch und Ehe als eines bewirbt, führt zu Beziehungen, die im Schnitt stabiler sind, früher beginnen, länger halten, und damit genau jenen demografischen Unterschied machen, der über Florieren oder Aussterben entscheidet. Früher hat man das zumindest geahnt. Uns ist das Bewusstsein dafür verloren gegangen: Wir sehen die Fruchtbarkeit als für den Ehebegriff unerheblich, Kindersegen als nebensächlich an. Das macht uns erschreckend zukunftslos.

Ein Beschluss der „Ehe für alle“, die letztlich zur „Ehe für niemanden mehr“ wird, hätte dieses Malheur festgeschrieben. So haben wir eine neue Chance, den Sinn für die Grundlagen unserer Zukunftsfähigkeit wiederzufinden – ohne dabei Gerechtigkeit und Empathie preisgeben zu müssen.


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2017)

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