Culture Clash

Stabilität war früher

Egal, wer heute Erster, Zweiter oder Dritter wird: Wir stehen vor einer Zeit des permanenten Wahlkampfs, der unseren Bürgersinn herausfordern wird.

Stehen wir vor einer Weggabelung, wie Kanzler Kern bei der SP-Abschlusskundgebung gesagt hat? Das mag stimmen. Aber weniger vor einer zwischen Sozialabbau und sozialer Verantwortung, wie Kern meint. Wenn die Prognosen auch nur ungefähr zutreffen, wird es ab morgen drei Koalitionswege geben, die sich bezüglich Sozialstaat wenig unterscheiden. Verschieden ist aber ihr Grad der Instabilität.

Schwarz-Blau wäre ziemlich instabil. Sie müssten gegen eine Wutopposition wie nach der Schüssel-Wende anregieren – ohne das damals zusammenschweißende Band der EU-Sanktionen. Auch hat die FPÖ jedes Mal heftige Krämpfe bekommen, wenn sie Regierungsarbeit zu verantworten hatte. 1986 hat das zur Parteirevolte und zum jähen Ende der Koalition geführt. Beim nächsten Mal hat's gleich die ganze Partei zerrissen.

Rot-Blau wäre sehr instabil – mit Spaltungsgefahr nicht nur für die Freiheitlichen, sondern auch für die SPÖ, deren Fundis mit den Grünen eine Linkspartei gründen könnten. Die sind ohnehin seit der Trennung von Peter Pilz und ihrer zu den Kommunisten weggetrippelten Jugendorganisation auf der Suche nach einem neuen Selbstverständnis.

Und am instabilsten wäre die 21. Auflage einer rot-schwarzen Regierung. In den Umfragen würden beide Parteien auf je etwa 20 Prozent zurückfallen. Beide Parteichefs würden unhaltbar. Neuwahlen nach wenigen Monaten.

Nach dieser seltsamen Jungspunde-Wahl (in der der 31-jährige Herausforderer das dienstzweitälteste Regierungsmitglied ist und der bisher jugendliche Oppositionsführer der „Elder Statesman“ mit doppelt so viel Parteichef-Erfahrung wie alle anderen zusammen) droht also ein permanenter Wahlkampf. Mit permanenter Kritik am Gegner, permanentem Wetteifern um die drastischeren Feindbilder, Dirty Dauercampaigning und einer stetigen Vertiefung des mulmigen Gefühls einer Übergangszeit, in der alles auf dem Spiel steht, was man sich geschaffen hat. Damit droht eine gesellschaftliche Radikalisierung, die in keinem Verhältnis zur wirklichen Lage der Nation stünde.

Denn es geht uns wirtschaftlich und sozial weiterhin sehr gut. Darum wird es in den kommenden Monaten gerade auch die Pflicht aller Normalbürger sein, Besonnenheit zu wahren, Gemeinsamkeit zu unterstützen, dem Zentrifugalen entgegenzuwirken und Probleme weder mit Angstlust großzureden noch zu tabuisieren.

Eine Epoche politischen Umbruchs müsste eine Zeit der großen Staatsmänner sein. Sollten diese ausbleiben, wird sie wohl die große Zeit des österreichischen Bürgersinns werden müssen.

Man darf ja noch hoffen.


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2017)

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