Der Tod und die BBC

Das wirft die Frage auf, ob es besser ist, tot zu sein, als mit Krankheit oder Behinderung zu leben. Wo doch niemand weiß, wie es ist, tot zu sein.

Der Tod ragt ziemlich sperrig in unser Leben hinein. Das wurde am Pfingstmontag deutlich, als die Zuschauer der BBC beobachten konnten, wie der unheilbar kranke Peter Smedley nach Einnahme eines Bechers Gift starb. Ich bin zwar felsenfest davon überzeugt, dass Selbstmord keine Option ist, weder für den Einzelnen noch für die Gesellschaft. Aber oft greifen mir die Argumente zu kurz. So fühle ich mich bei dem Satz „Der Mensch darf das Leben, weil es ihm von Gott geschenkt wurde, nicht selbst beenden“ ein wenig unwohl, denn erstens ist das Leben, das Gott schenkt, mit dem Tod nicht beendet, und zweitens gehört es zum Wesen eines Geschenkes, dass man sich seiner entledigen darf, wenn es zu einer unerträglichen Belastung wird.

In meinen Augen hat der Unwert des Selbstmordes weniger mit der Pflicht zur Dankbarkeit als mit Solidarität zu tun. Denn es gibt nur die eine Scheu des Menschen vor dem Töten – sie hält ihn im Normalfall sowohl davon ab, sich selbst, als auch einen anderen umzubringen. Darum gibt es so etwas wie eine Pflicht zum Weiterleben, auch wenn es ein Opfer bedeutet: Wenn Töten kein Tabu mehr ist, ist niemand mehr seines Lebens sicher.

Auch frage ich mich – das ist jetzt nur ein scheinbarer Gedankensprung –, warum in vielen zivilisierten Ländern ein Geschlechtsscreening ungeborener Kinder (an das sich oft die Abtreibung der Mädchen anschließt) verpönt und in manchen sogar verboten ist, während es in denselben Ländern längst selbstverständlich geworden ist, mögliche behinderte Embryos aufzuspüren und abzutreiben. Klar: Eine Behinderung ist im Gegensatz zur Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht etwas objektiv nicht Wünschenswertes. Aber es geht ja bei Abtreibung nicht darum, eine Behinderung oder eine Geschlechtszugehörigkeit, sondern das Leben eines Behinderten oder einer Frau zu verhindern. Und beide sind doch Menschen gleicher Würde. Warum also dann der Unterschied?

Die Angst der Eltern, einem behinderten Kind nicht gewachsen zu sein, ist verständlich. Niemand soll da den moralischen Zeigefinger heben. Aber hier sind wir wieder beim Anfang: Wenn die Gesellschaft Töten als Routinelösung für überfordernde Situationen akzeptiert, begibt sie sich ihrer Humanität. Auch bei der Abtreibung von Behinderten. Denn um als Humanist dafür sein zu können, muss man die Überzeugung hegen, dass es besser ist, tot zu sein, als mit Behinderungen leben zu müssen. Aber erstens kann niemand wissen, ob das stimmt. Und ist es zweitens wirklich humanistisch, zu Behinderten zu sagen: „Eigentlich besser für dich, du wärest tot?“


Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2011)

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