Bundesheer-Debatte: Die Vorwarnzeit hat vielleicht schon begonnen

Bruno Kreisky und das Militär: "Wer sich nicht verteidigt, wird von allen im Stich gelassen", erklärte er vor 43 Jahren.

Im Juni 1971 unterschrieben rund 1700 von den damals 2267 Berufsoffizieren des Bundesheers einen Brief an den Bundespräsidenten, den Bundeskanzler und die Abgeordneten des Nationalrats, in dem sie auf die „folgenschwersten Konsequenzen“ der damals geplanten Wehrgesetznovelle hinwiesen. Anlass dafür war die von der Minderheitsregierung unter Bruno Kreisky beabsichtigte Verkürzung der Wehrdienstzeit auf sechs Monate. Die SPÖ hatte die Wahl im März 1970 unter anderem mit dem Versprechen „Sechs Monate sind genug“ gewonnen.

Die Offiziere wussten, dass an der Verkürzung des Wehrdienstes nicht mehr zu rütteln war und erkannten sie als „politische Realität“ an. Sie warnten jedoch vor den Folgen der bevorstehenden Entscheidung. Was damals von Medien als „Aufstand der Offiziere“ und als „Offiziersintrige“ bezeichnet wurde (und ohne Folgen blieb), liest sich heute in Ton und Inhalt recht harmlos. Aber auch 53 Jahre danach ist es von überraschender Aktualität.

Vor allem zweifelten die Offiziere daran, dass mit sechs Monaten Wehrdienst und 75 Tagen „Wiederholungsübungen“ das „Reserveheer im erforderlichen Umfang zu erhalten“ sei. Man meint, in der Maßregelung des Präsidenten des Milizverbands, Brigadier Michael Schaffer, durch Generalstabschef Othmar Commenda noch die Hintergrundstrahlung jenes Urknalls von 1971 wahrzunehmen.

Die Aktion der Offiziere nahm ihren Ausgang vom Ausmusterungslehrgang jenes Jahres der Militärakademie in Wiener Neustadt. Kreisky war schon im Februar 1971 an der MilAk zu einer dreistündigen Diskussion mit angehenden Offizieren gewesen. Danach führte er ein Gespräch mit dem Kommandanten des Lehrgangs und einem Fähnrich. Davon existiert eine Tonbandaufnahme, die vermutlich für eine Radiosendung aufgenommen wurde (siehe Anmerkung unten). Bemerkenswert sind Kreiskys eindeutiges Bekenntnis zur militärischen Landesverteidigung und seine Argumente dafür.

„Es geht darum, dass wir in der Lage sind, eine Kränkung unserer Grenzen oder den Versuch, uns ein Stück unseres Landes zu entreißen– was wir ja erlebt haben –, dass wir diesen Versuch nicht einfach akzeptieren und ein großes Geschrei und Wehklagen erheben, sondern echt uns wehren; denn meine Erfahrungen aus den Dreißigerjahren haben uns gelehrt, dass der Staat, der gar keinen Versuch unternimmt, sich zu verteidigen, von allen im Stich gelassen wird. Und deshalb bin ich ein prinzipieller Anhänger der Landesverteidigung.“ So weit Kreisky 1971. Aber was bedeutet militärische Landesverteidigung heute? Welche Dimensionen hat sie, und welche Rolle spielt sie im Denken und in den Konzeptionen des Bundesheers? Diese Frage steht eigentlich im Hintergrund der aktuellen Debatte um das Heer.

Zerstörung der Miliz

Die Entscheidung für die Wehrpflicht bei der Volksbefragung im Jänner 2013 war für die Planer im Bundesheer ein größerer Schock als für die Öffentlichkeit. Seit unter Günther Platter mit der Zerstörung der Miliz begonnen wurde, hatte man bei allen Planungen ein künftiges Berufsheer mit einer besonderen Auslandsorientierung im Hinterkopf. Seit der Zilk-Kommission spukte die internationale Brigade mit mehreren tausend Mann unter österreichischem Kommando in den Köpfen herum. Das war aber weder finanzierbar noch mit Rekruten und Milizsoldaten zu realisieren. Dazu hätte man die – erwarteten oder erhofften – Berufssoldaten gebraucht.

Wenn man sich aber von der zentralen Idee der Landesverteidigung innerlich verabschiedet, hat Streitkräfteplanung keinen sinnvollen Ansatzpunkt und hängen die Aufgaben des Heers im Inneren in der Luft. Die Haltung zum Beitrag des Heers zur inneren Sicherheit war immer schon ambivalent. Einerseits möchte man zurecht nicht als bessere Zivilschutzorganisation gesehen werden, andererseits den Prestigefaktor Katastrophenschutz nicht missen.

Exemplarisch wurde das bei den Hochwassern im Sommer 2013. Als mancherorts das Bundesheer gar nicht angerufen und sofort Feuerwehr oder Rotes Kreuz geholt wurden, herrschte beleidigte Betroffenheit im Heer. Hellsichtige haben erkannt, dass damit ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz des Heers in der Bevölkerung in Gefahr gerät und außerdem die Feuerwehren noch mehr an öffentlichen Mitteln in ihre Kanäle lenken. Der überzeugende Einsatz des Heers bei Katastrophen nährt auch das Verständnis für seine strikt militärischen Aufgaben.

Ein neues Zauberwort

Das neue Zauberwort in den militärischen Planungen heißt Einsatzwahrscheinlichkeit. Da die große „Panzerschlacht im Marchfeld“ nicht zu erwarten ist, brauche man nur noch so viele Panzer wie zur Erhaltung des Know-how der Panzerbedienung und -pflege benötigt werden. Die restlichen 40 Stück sollen verkauft werden. Als Preis für einen gebrauchten Leopard2 werden 400.000 Euro kolportiert, manche Experten rechnen allerdings nur mit 200.000 Euro pro Stück. Der Preis eines neuen Panzers dieser Marke und Qualität beläuft sich dagegen auf rund sechs Millionen. Anschaffungsvorgang und die Indienststellung dauern aber sieben Jahre.

Da ist fraglich, ob Einmotten nicht die bessere und weitsichtigere Methode wäre. Wundern mag man sich auch darüber, dass das Militär so leichthin die Zahl seiner schweren Waffensysteme reduzieren will, deren Besitz und Einsatz ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal des Heers von der Polizei ist, worauf das Heer ja immer Wert legt.

Welche Einsätze man wirklich führen will und welche notwendig sind, muss tatsächlich ständig neu beurteilt werden. Wie schnell sich die geopolitische Lage aber ändern kann, haben wir in den letzten Monaten in Europa und im Nahen Osten erlebt. Was auf dem Balkan ausgebrütet wird, lässt sich nur ahnen. Wer weiß, ob die „Vorwarnzeit“, von der in den militärischen Planungen ausgegangen wird, nicht schon zu laufen begonnen hat?

Die Schweiz tickt anders

Die mittlerweile beschlossene neue Verteidigungsstrategie hat einen weiteren Horizont. Die in der Verfassung grundgelegte Verpflichtung zur militärischen Landesverteidigung gilt unabhängig von aktuell erwartbaren Bedrohungen. Es geht um die sicherheitspolitische Beurteilung der Lage in einem Raum und darum, was ein Land dort zur Stabilität beitragen kann.

Wie viele schwere Waffen das Bundesheer braucht, hängt daher auch davon ab, was von einem Land wie Österreich in seiner spezifischen Situation erwartet werden kann. Die Schweiz in einer weniger exponierten Lage leistet sich jedenfalls doppelt so viele – nicht eingemottete – Panzer wie Österreich. Ein leistungsfähiges Bundesheer trägt auch dazu bei, dass Österreich sein sicherheitspolitisches Umfeld mitgestaltet.

Es gibt für die militärische Planung seit jeher ein Bild, das immer gültig bleibt: Eine Brandschutzversicherung schließt man auch nicht erst ab, wenn man einen Brand unmittelbar erwartet.

Anmerkung: Die Aufnahme als CD befindet sich als Beilage im Band 21 der "Schriften zur Geschichte des österreichischen Bundesheeres": "Der Brief der 1700".

Emails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2014)

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