Die EU in der Balkan-Falle

Slowenien sieht die EU vor allem als finanzielle Melkkuh. Und missbraucht Mitgliedsrechte.

Wer heuer im Sommer über Zagreb an die Küsten Kroatiens fahren wollte, erlebte in Slowenien eine zumindest bescheidene Freude. Während er im vorigen Jahr um den hohen Preis einer Halbjahresvignette ganze acht Kilometer Autobahn befahren durfte, waren es heuer um einen kaum geringeren Preis wenigstens 30 Kilometer. Slowenien hat eine Autobahn zwischen Marburg und Pettau gebaut und auf Druck der EU auch ein Siebentagespickerl eingeführt.

Das kleine Slowenien hat sich eine erstaunliche und unverhältnismäßige Härte in der Durchsetzung seiner Interessen zugelegt, in der sich das sonst ideologisch tief gespaltene Land völlig einig ist. Die Vignette ist dafür nur ein kleines, im EU-Maßstab nebensächliches und auch für die betroffenen Österreicher und Osteuropäer nicht viel mehr als ärgerliches Beispiel.

Schon gewichtiger ist der Fall der Ljubljanska banka in Laibach, die faktisch die Guthaben von Nichtslowenen enteignet hat. Die Bank war die beste und verlässlichste Bank in Jugoslawien, weshalb ihr auch Kunden aus anderen Teilrepubliken, vor allem aus Kroatien, Geld anvertrauten. Nach der Trennung Jugoslawiens wurde die Bank „neu gegründet“, mit fatalen Folgen für die nichtslowenischen Altkunden. Sie sollten sich bei ihren Ländern schadlos halten, wurde ihnen gesagt.

EU als finanzielle Melkkuh

Wie auch andere, größere, Länder aus der 2004er-Beitrittsgruppe hat Slowenien es sich zur Regierungsdoktrin gemacht, die EU vor allem als finanzielle Melkkuh zu betrachten und im Übrigen seine eigene Interessenpolitik zu machen und seine „Souveränität zu wahren“. Das hat besonders im Falle Polen mit den Erfahrungen aus der kommunistischen Zeit zu tun, ist aber ein fundamentales Missverständnis über den Unterschied zwischen sowjetischer Vorherrschaft und einer supranationalen Gemeinschaft.

Ein eklatanter Fall des Missbrauchs von Mitgliedsrechten und ein potenzieller Krisenfall für die EU ist die Blockade des Beitritts Kroatiens durch Slowenien wegen des umstrittenen Grenzverlaufs zwischen den beiden Ländern in der Bucht von Piran. Umstritten ist er freilich nur aus slowenischer Sicht. Nach internationalem Seerecht ist der Fall eindeutig, weshalb Slowenien seinen juristisch unhaltbaren Wunsch nach einem Korridor durch kroatische Territorialgewässer politisch durchzusetzen sucht.

Die EU steht diesem einmaligen Verhalten der Erpressung durch ein Veto hilf- und ratlos gegenüber. Es rächt sich jetzt, dass mit Slowenien 2004 ein Staat mit einem offenen Grenzproblem in die EU aufgenommen wurde. Das Verhalten der EU ist auch paradox: Als der Grenzstreit noch um eine EU-Außengrenze ging, spielte er für einen Beitritt keine Rolle, jetzt, da es sich um eine zukünftige Binnengrenze handelt, wird er zum Hindernis dafür.

Inwieweit sich Slowenien durch seine Haltung selbst schädigt, ist nicht abzusehen. Der Tourismus aus Kroatien zu den slowenischen Thermen ist jedenfalls zum Erliegen gekommen und der Fall Ljubljanska banka hat das Vertrauen für die Wirtschaftsbeziehungen zu den ehemaligen „Bruderrepubliken“ nachhaltig zerstört. Kroatien versucht außerdem, mithilfe des befreundeten Ungarn einen Eisenbahnkorridor aus Mittelosteuropa zum Hafen Rijeka zu realisieren, was den kleinen slowenischen Hafen Koper unter Druck bringen würde.

Slowenien ist nicht der Balkan, aber Kroatien ist es auch nicht. Jahrhundertelang gehörte es zur ungarischen Krone und ist auch kulturell und religiös eher Mitteleuropa und dem mediterranen Raum zugehörig als dem Balkan. Durch die Schaffung des unglückseligen Begriffs vom „Westbalkan“ wurde eine falsche Aufteilung der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken in „Schafe und Böcke“ vorgenommen, was Slowenien eine Sonderstellung verschaffte. Das soll natürlich keineswegs heißen, dass Kroatien nicht viele Züge dessen trüge, was man als „balkanisch“ bezeichnet. Jeder Besucher der prachtvollen dalmatinischen Küsten kann die Folgen des illegalen Bauens betrachten und die Hotelruinen sehen, für die mangels funktionierenden Rechtssystems seit fast zwei Jahrzehnten keine Investoren gefunden werden können. Ob die Korruption von „unten“ ausgeht und deshalb „oben“ im großen Stil praktiziert wird oder die schlechten Beispiele Schule machen, ist wie die Frage nach Henne und Ei.

Kroatien bietet aber der EU jene Möglichkeit, die im Falle Bulgarien und Rumänien versäumt wurde. Man kann Reformen in Justiz, Verwaltung, Exekutive, Wirtschaft und bei der Korruptionsbekämpfung nur vor dem Beitritt erzwingen, wenn man ein Land als Mitglied haben will, das einigermaßen europäischen Standards entspricht. Nach dem Beitritt ist es zu spät, wie die abschreckenden Beispiele Rumänien und Bulgarien zeigen, weil dann alle Anreize zu schmerzhaften Maßnahmen fehlen und der Griff in die Geldtöpfe von Brüssel zu leicht und selbstverständlich geworden ist. Daran ändern auch noch so niederschmetternde „Fortschrittsberichte“ der Kommission nichts.

Geldfälscherwerkstatt Europas

Im Falle Bulgarien ist die EU selbst balkanisch geworden. Das Land ist seit den kommunistischen Zeiten die Geldfälscherwerkstatt Europas schlechthin. Der Euro-Fünfziger aus Bulgarien ist zu einem einschlägig bekannten Qualitätsprodukt geworden. Die EU lässt es sich gefallen, dass ein Mitgliedstaat die gemeinsame Währung schädigt. Das Versprechen eines künftigen EU-Beitritts sollte dazu beitragen, die Konflikte auf dem Balkan zu befrieden und die vielfach geschädigten Länder vor allem politisch auf europäischen Standard zu heben. Wenn aber nun ausgerechnet EU-Mitglieder selbst gegen diesen Weg der Stabilisierung arbeiten, ist das keine hoffnungsvolle Perspektive für die Region.

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.


meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2009)

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