Burka-Debatte: Es geht um mehr als ein Stück Stoff

Verschleierung bedeutet, dass in Europa ein Gesellschaftsbild etabliert wird, das nicht unseres ist und das wir nicht zu tolerieren brauchen.

Eigentlich ist alles kein Problem. Warum sollte man sich wegen eines „Stückchens Stoff“ aufregen? In einer „offenen und toleranten Gesellschaft“ habe der Gesetzgeber Individuen keine „Bekleidungsvorschriften im öffentlichen Raum zu machen“, ob es sich nun um eine „Punk-Haartracht, eine Ordensbekleidung oder eine Kafta“ handle. (Thomas Seifert in der „Wiener Zeitung“). Man sollte eher ein Verbot für Politiker erlassen, auf jedes „populistische Krawallthema aufzuspringen“. (Hans Rauscher im „Standard“) Er verstehe nicht, „warum muslimische Frauen sich wie westliche Frauen kleiden sollten“ (der argentinische Kurienbischof und angeblich Papst-Vertraute Marcelo Sánchez Sorondo). Sie sei zwar keine Anhängerin der Vollverschleierung, aber ein Verbot wäre „kontraproduktiv“ und würde nur den rechten Kräften Vorschub leisten (Amina Baghajati).

Es geht also um die Burka. Der Formen islamischer Bekleidung der Frau sind viele. Da gibt es das Kopftuch von Frau Baghajati, das zwar anders ausschaut als die berühmten Kopftücher der englischen Königin beim Reitausflug, aber auch so heißt. Die ultimative Form ist dann die Burka. Die Frau, die dieses Kleidungsstück – wenn man es überhaupt als solches bezeichnen will – trägt, bekommt die Welt nur durch ein vergittertes Fenster zu sehen. Das scheint die Absicht zu sein. Sie soll nicht nur nicht gesehen werden, sondern auch von der Welt so wenig wie möglich mitbekommen.

Die zitierten Stimmen wirken etwas krampfhaft in ihrem Bemühen, das Thema und die Provokation, die es bedeutet, herunterzuspielen. Aber das geht nicht mehr. Die Burka ist ein Symbolthema geworden. Symbol für eine Religion, die sich der Welt, in der sie lebt, nicht vermitteln kann oder will, und für einen Staat, der seinen Bürgern predigt, „mitunter befremdliche Sitten müssten eben hingenommen werden als Folge der unvermeidlichen Änderung der Gesellschaft im Zuge der Migration“ (Berthold Kohler in der „FAZ“).

Es gibt auch andere Stimmen, die man natürlich damit abtun kann, sie sprängen auf ein „Krawallthema“ auf. SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder, den man schwerlich als Populisten bezeichnen wird, hat „keine Lust mehr, Dinge wie Burka oder Niqab unter dem Deckmantel der liberalen, freien Gesellschaft zu verteidigen“. Man wird sehen, ob die SPÖ Integrationsminister Sebastian Kurz unterstützen wird, wenn er sein Vorhaben wahr macht, ein Verschleierungsverbot einzuführen. Der französische Ministerpräsident, Manuel Valls, ebenfalls ein Sozialdemokrat, sieht in den islamischen Bekleidungsvorschriften ein „politisches Projekt einer Gegengesellschaft, die vor allem auf der Unterwerfung der Frau basiert“. Das ist auch Kurz' Argument. In Frankreich, das man schwerlich als illiberales Land bezeichnen wird, gilt ein Verbot der Vollverschleierung schon seit Längerem.

Eine „offene Gesellschaft“ verlange „offene Gesichter“, argumentieren manche die Verfechter des Burkaverbots. Das ist nicht so schlüssig und liberal, wie es klingt und keine zwingende Begründung für ein Verbot. Eine offene Gesellschaft gibt niemandem einen Anspruch darauf, das Gesicht einer anderen Person in der Öffentlichkeit zu sehen. Wenn diese so deutlich zu erkennen gibt, dass sie zu keiner Kommunikation bereit ist, kann man ihr nicht helfen und sie nur ignorieren. Für amtliche oder andere öffentliche Zwecke, vom Zoll bis zur Schule, kann eine Verschleierung ohnehin nicht erlaubt sein. Auch der Rot-Kreuz-Mann oder Arzt bei einem Verkehrsunfall wird nicht viele Möglichkeiten haben, die Verschleierung zu respektieren.

Ein triftiger Grund für ein Verbot ist ein ganz anderer, der mit dem Individuum und seiner Erkennbarkeit in der Öffentlichkeit nichts zu tun hat. Verschleierung bedeutet, dass hier in Europa ein Gesellschaftsbild etabliert werden soll, das nicht unseres ist und das wir nicht zu tolerieren brauchen. Es sei denn, man hänge der absurden Meinung an, jedermann könne, weil man ja seine Kultur respektieren müsse, diese eins zu eins in Europa verwirklichen: von der Burka bis zur arrangierten Kinderheirat. Vor deutschen Gerichten wird allen Ernstes schon so argumentiert.

Vielleicht kann man das kulturelle Verständnis, das dieser islamischen Kleidervorschrift zugrunde liegt, am besten verstehen, wenn man der Burkaträgerin das männliche Pendant zur Seite stellt, mit dem zusammen sie üblicherweise auftritt. Es ist der junge Macho in Schlapfen oder Turnschuhen, kurzer Hose und Ruderleiberl, der für sich jede Freizügigkeit in Anspruch nimmt, die er seiner Frau oder Begleiterin nicht gewährt. Die beiden gehen in ein Wiener Kaffeehaus und erwarten, dort vom Ober im schwarzen Smoking bedient zu werden. Das Bewusstsein, dass sich ihrer beider Aufmachung dort vielleicht nicht gehört und sie mehr Respekt gegenüber den Sitten ihres Gastlands haben sollten, geht ihnen offenkundig gänzlich ab.

Auch das musste wohl einmal kommen: Ein Tiroler Abgeordneter der Grünen verglich Trägerinnen der Burka mit katholischen Klosterfrauen, die eine Ordenstracht tragen. Mit so etwas hat man die verstohlenen Lacher sicher auf seiner Seite. Die gezielte Provokation des Grünen hätte für die Kirche ein Anlass sein können, Position zu beziehen und zu erklären, was eine Ordenskleidung von einer islamischen Kleidervorschrift unterscheidet.

Aber der Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs, Schwester Beatrix Mayrhofer, fiel dazu nur ein, sie halte den Vergleich von Ordenstracht und Burka für „unangebracht“. Warum eigentlich, erfährt nicht. Sie bemüht das Argument, es komme darauf an, „ob ein Kleidungsstück aus freiwilliger persönlicher Entscheidung getragen wird“. Wenn das bei der muslimischen Frau der Fall ist, gibt es für die Oberin offensichtlich keinen Unterschied zur Ordenstracht.

Die Gegner eines Verbots sprechen von „populistischer Symbolpolitik und einer Scheindebatte“ angesichts der wenigen Burkaträgerinnen in Österreich und Deutschland. Ein entsprechendes Gesetz würde gegen Religionsfreiheit und Gleichbehandlung verstoßen, solange Frauen die Burka freiwillig tragen. Zudem helfe ein Verbot nicht den Frauen, die dazu gezwungen würden, weil sie ohne Burka womöglich nicht einmal das Haus verlassen dürften.

Das sind die beiden wichtigsten Argumente: Es gibt in unseren Breiten außer Touristinnen nur ganz wenige, die verschleiert sind, und wenn diese es freiwillig tun, könne man es ihnen nicht verbieten. Beides ist falsch. Kein vernünftiges Rechtssystem kann Sanktionen gegen ein unerwünschtes Verhalten davon abhängig machen, von wie vielen Individuen es praktiziert wird. Und wer will und kann feststellen, was in der geschlossenen Welt islamischer Familienverhältnisse freiwillig ist? Es ist einigermaßen gekünstelt, wenn die Politologin Astrid Mattes meint, auch wenn Frauen zum Tragen einer Burka gezwungen werden, würde ihnen durch ein Verbot „die Möglichkeit zur Teilhabe am öffentlichen Leben womöglich ganz genommen“. In dieser Logik wird die Burka dann geradezu ein Instrument der weiblichen Emanzipation.

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.comHans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2016)

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