Verdrängtes Christentum als lästige Provokation

Religion unter Druck. Ein aggressiver Säkularismus ist bemüht, das Christentum immer weiter aus der Öffentlichkeit hinauszudrängen.

Bei einer Umfrage in Deutschland wusste angeblich eine Mehrheit, darunter wohl auch viele nominelle Christen, nicht, was zu Weihnachten eigentlich gefeiert wird.

Dass es irgendetwas mit der Geburt eines Kindes zu tun hat, war den meisten bekannt, manche glaubten, dessen Namen zu kennen, und tippten auf Josef. Auch die Gestalt Mariens tauchte vage auf. Selbst in diesem Nebel des Unwissens und der Ratlosigkeit, im Dunst der Punschstände und im Trubel der Christkindlmärkte (wenn sie noch so heißen dürfen) drängt sich zu diesem Fest doch unwillkürlich die Religion ins Bewusstsein.

Selten hat sich so wie heuer der ganze Ernst dessen gezeigt, was es in vielen Gegenden der Welt bedeuten kann, ein Christ zu sein. Sebastian Kurz hat einen Satz von Jan Figel auf Twitter gestellt und ihm dadurch zu weiterer Verbreitung verholfen: „Über 100 Millionen Christen werden weltweit diskriminiert, bedroht und verfolgt. Wir müssen entschieden gegen die Christenverfolgung vorgehen, insbesondere im Nahen und Mittleren Osten.“ „Wer Religion und den Missbrauch von Religion nicht versteht, kann nicht verstehen, was derzeit in der Welt geschieht“, sagte Figel kürzlich bei einer Konferenz, die von der in Wien ansässigen Beobachtungsstelle für Intoleranz und Diskriminierung gegen Christen in Europa veranstaltet wurde. Religion sei ein bedeutsamer weltpolitischer Faktor.

84 Prozent aller Menschen gehörten einer Religionsgemeinschaft an, aber 74 Prozent lebten in Ländern, in denen religiöse Freiheit unterdrückt werde. Figel, ehemaliger EU-Kommissar aus der Slowakei, ist Sonderbeauftragter der EU-Kommission zum Schutz und zur Förderung von Religionsfreiheit „innerhalb und außerhalb der EU“, wie Jean Claude Juncker bei dessen Bestellung im März sagte. Der Posten wurde eingerichtet, unmittelbar nachdem Kanada sein Amt für Religiöse Freiheit abgeschafft hatte. Als einziges EU-Land hat übrigens Ungarn ein eigenes Staatssekretariat zur Unterstützung verfolgter Christen geschaffen. Es organisiert ohne viel Aufhebens die Rettung von Christen aus Syrien und dem Irak.

Auch die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, deren Vorsitz Österreich eben übernimmt, hat Intoleranz und Diskriminierung von Christen auf der Agenda. Sie wendet den Blick aber zurück auf Europa selbst: „Es liegt in unserer Verantwortung, auf alle Arten von Intoleranz, auch auf jene gegenüber Christen, zu antworten“, sagt der Vertreter Deutschlands bei der OSZE, Eberhard Pohl. EU-Länder können doch nicht auf der Liste der Länder figurieren, die Menschen wegen Religion verfolgen, möchte man meinen. Tatsächlich kann man in Europa nicht von einer brutalen Verfolgung wie etwa in Nordkorea, Nigeria, dem Irak oder Pakistan sprechen, die den Charakter eines Genozids haben und auch von immer mehr Staaten und internationalen Organisationen als solcher bezeichnet werden, was es erleichtert, dagegen politisch und rechtlich anzukämpfen.

Europas Gleichgültigkeit

An einer neuralgischen Stelle werden die Indifferenz und die Gleichgültigkeit Europas gegenüber (darf man noch sagen: seinem eigenen?) Christentum besonders deutlich – nämlich dort, wo die Verfolgung von Christen nach Europa eingeschleppt wird. Zu spüren bekommen das die christlichen Flüchtlinge und Asylsuchenden aus dem Nahen Osten. Obwohl es von offiziellen Stellen und auch von den Kirchen selbst verdrängt oder überhaupt geleugnet wird, gibt es genug Zeugnisse dafür, dass Christen in den Flüchtlingslagern mitten in Europa wegen ihres Glaubens drangsaliert werden. Die Gewalt geht dabei nicht nur von den selbst ernannten muslimischen Sicherheitsdiensten in den Lagern aus.

Michaela Koller von der Gesellschaft für Menschenrechte in Frankfurt berichtet davon, dass sich in Deutschland viele Menschen nicht über die Attacken von Muslimen auf Christen und andere religiöse Minderheiten beklagten, sondern darüber, dass die Vorfälle veröffentlicht werden. Selbst ein katholischer Bischof habe ihr vorgeworfen, eine „antiislamische Stimmung“ zu fördern. Die Reaktion der deutschen Behörden, die auch von Kirchenvertretern unterstützt wird, eigene Unterkünfte für Christen zu schaffen, kommt einer Kapitulation vor den Tätern gleich.

Christen als Störenfriede

Geradezu ein Fanal für die eingeschleppte Christenverfolgung war der Mord am greisen französischen Priester Jacques Hamel im Frühjahr. Die Reaktionen auf solche Taten sind immer ähnlich: Zuerst Abscheu und Empörung, auf die dann Appelle zur Toleranz und zur friedlichen Koexistenz folgen, die aber höchstwahrscheinlich die nicht erreichen, die die Taten begangen haben oder anfällig dafür sind, dergleichen in Zukunft zu tun.

Figel wies auf eine „zeitgeistige“ Tendenz in Europa hin. Christen würden zunehmend als Störenfriede empfunden. Er konstatiert etwa eine „Marginalisierung und politisch-mediale Repressalien“ gegenüber Organisationen, die öffentlich für das umfassende Lebensrecht und die Menschenwürde eintreten. Religionsfreiheit werde zusehends in sinnentstellender Weise umgedeutet: „Was ursprünglich als Freiheit für die Religionsausübung eine große Errungenschaft für das Leben entsprechend der Gewissensüberzeugung darstellte, wird immer mehr zur Freiheit von Religion im Sinn von Zwang zur Religionslosigkeit zumindest im öffentlichen Raum verdreht.“

Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, vor Gerichten in Spanien und anderswo werden immer öfter Fälle verhandelt, in denen religiöse Auffassungen oder religiös begründete Haltungen in ethischen Fragen inkriminiert werden. Gegen den Erzbischof von Valencia wurde eine Untersuchung angestrengt, weil er die Gender-Ideologie kritisiert hatte. Es kam zu keiner Verurteilung, dem Erzbischof wurde aber ausgerichtet: Seien Sie vorsichtig, was Sie sagen, auch Kardinäle können vor Gericht kommen. Beim EGMR wurde die kirchliche Regel des Priesterzölibats und seine Einhaltung von einem Richter als als „totalitär“ und daher auch rechtlich verurteilenswert eingestuft.

Bedrohte Religionsfreiheit

Man mag das alles für eher grotesk halten, für die Betroffenen kann es freilich an die bürgerliche Existenz gehen. Es ist aber Zeichen für die Bedrohung der religiösen Freiheit durch einen aggressiven Säkularismus, der das Christentum aus der Öffentlichkeit drängen und aus dem kollektiven Gedächtnis löschen möchte. „Die einzige Religion, die der Westen gelten lassen möchte, ist die Kritik am Christentum“, meint der US-Radio-Talkmaster Dennis Prager. Die Zeichen der christlichen Zivilisation zu entfernen, werde Europa nicht zu einem freundlicheren Platz für Nichtchristen machen, mahnt der orthodoxe Metropolit Hilarion vom Moskauer Patriarchat.

Was die Christen so unangenehm macht, ist nicht leicht auszumachen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass sie sich, namentlich die Katholiken, dem Totalanspruch des Staates verweigern und sich dadurch zu so etwas wie „vaterlandslosen Gesellen“ machen. Obwohl nach Kräften verdrängt, bleibt das Christentum selbst in seiner offenkundigen Schwäche eine unerklärliche Provokation.

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger
Leiter der Wiener Redaktion der
„Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2016)

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