Franziskus – Populismus auf katholisch

Vier Jahre Papst Franz. Das Lehrschreiben über Ehe und Familie, „Amoris laetitia“, als ein Schlüssel zur Strategie des Papstes: Zentrale Streitfragen werden darin absichtlich so unklar formuliert, dass jeder herauslesen kann, was er will.

Am kommenden Montag, dem 13. März, ist es vier Jahre her, dass ein Papst gewählt wurde, der sich überraschend den Amtsnamen Franz gab, den noch kein Papst vor ihm angenommen hatte. Darin liegt eine gewisse Ironie, denn der Apostel der Armut, für den der Papst seinen Namensgeber Franz von Assisi anscheinend hält, gilt in der Kirche als Patron der Kaufleute. Dessen Nachfolger, die Franziskanermönche, haben Banken gegründet und Kredite an Bedürftige – selbstverständlich gegen Zinsen – vergeben. Bis heute sind sie in Geldsachen sehr tüchtig und erfolgreiche Immobilienverwalter.

Vier Jahre sind keine denkwürdige Zäsur, wenn sie nicht in zeitliche Nähe zur Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA gefallen wären. Das rückt uns ins Bewusstsein, dass auch eine andere Weltmacht – wenn wir die katholische Kirche als eine solche bezeichnen wollen – von einem Populisten geleitet wird. Freilich ist Trump ein rechter Populist und der Papst eher ein radikaler – und eben katholisch.

Schnoddrige Reaktion

Den modernen Populisten kennzeichnet eine Missachtung des Rechtlichen und der Gesetze im Namen einer von ihm definierten Gerechtigkeit. An die Stelle des Rechts setzt er den Voluntarismus des Führers und seiner Unmittelbarkeit zum „Volk“, dem er suggeriert, die „Eliten“ hätten es verraten. Im Fall des Papstes spielen diese Rolle die kirchlichen Oberen und die Theologen, die dem Volk Lasten auferlegen, die er ihm abzunehmen verspricht. Aggressiv und beleidigend kanzelt er regelmäßig die Kardinäle ab.

Auf Kritik antwortet der Populist nicht in der Sache, sondern persönlich. Typisch dafür ist die schnoddrige Reaktion des Papstes auf die allen kirchlichen Regeln und Formen der Höflichkeit entsprechende Anfrage („dubia“) von vier Kardinälen zu Amoris laetitia, dem Lehrschreiben über Ehe und Familie. Franz sei „wütend“ darüber gewesen, wird erzählt.

Bis heute hält er diese Kardinäle für keiner Antwort würdig. Das ist nicht nur unhöflich, es hat offenkundig Methode. Kein anderer Chef einer Weltfirma würde so mit seinem Führungspersonal umgehen. Stattdessen lässt er Unterläufel los, die gleich mit entsprechenden Drohungen bei der Hand sind oder die Fragesteller der Häresie, also des Abfalls von der Glaubenslehre, bezichtigen.

Allen Beteuerungen von Kollegialität zum Trotz entscheidet der Papst ja durchaus autoritär. Gegenüber der Bischofssynode hat er sich auf seinen im I. Vaticanum definierten Jurisdiktionsprimat berufen. In Fragen der Ökonomie und des Umweltschutzes legt der Papst eine ideologische Bestimmtheit an den Tag, die er auf seinem eigentlichen Feld, der Glaubenslehre und Moral, absichtsvoll vermissen lässt.

Das sind freilich Gebiete, auf denen er keine Zuständigkeit seines Amtes und auch keine fundierten Kenntnisse hat. Sein Verständnis von Wirtschaft ist konzentriert in der Vorstellung, dass man die Armen weniger arm macht, wenn man nur die Reichen ärmer mache, ein klassischer Irrtum. „Kapitalismus und Marktwirtschaft sind die Quellen des Wohlstandes. Sie töten nicht, sondern machen frei und schaffen Wohlstand“, sagt der katholische Schweizer Theologe und Ökonomieprofessor Martin Rhonheimer.

Franz hat erkennbare Sympathien für die klassische Form des Populismus in Lateinamerika, den Peronismus in seiner Heimat. Nach dessen Vorstellung besteht Ökonomie hauptsächlich in Wohltätigkeitsaktionen und Umverteilung. Weil sie das immer im Munde führen, erfreuen sich auch die linken Caudillos auf dem Kontinent der ziemlich offenen Gunst des Papstes. Verheerend wirkt sich das gerade in Venezuela aus.

Während der Erzbischof von Caracas von einer Diktatur im Land und von der „Verhöhnung des Volkes“ spricht, macht der Vatikan dem Regime durch eine sinnlos gewordene „Vermittlung“ die Mauer. Franz sei dadurch „faktisch zum politischen Lebensretter des Maduro-Regimes“ geworden, schreibt die „FAZ“.

Seine Verehrer rühmen die Spontaneität und Unmittelbarkeit seiner Rede – ohne Rücksicht darauf, was das jeweilige Publikum hören will. Das mag unterhaltsam sein, von einem Papst muss man aber erwarten dürfen, dass er einigermaßen konsistent und überlegt redet und nicht, wie ein Populist eben, je nach Publikum oder Situation seine Positionen ändert.

Eines unter vielen Beispielen dafür ist die Migrationspolitik. Während Franz beim Lutherischen Weltbund in Lund erklärte, kein Land müsse mehr Migranten aufnehmen als es verkraften könne und damit direkt einer Obergrenze das Wort redete, postulierte er beim Empfang für die Vatikan-Diplomaten ein Recht auf Migration ohne Einschränkung.

Kein Interesse an Reformen

Kürzlich haben einige österreichische Kirchenintellektuelle diesen Papst als „Reformer“ betitelt. Das ist ein verwunderliches Prädikat. Die K9-Gruppe der Kardinäle, die eine Reform der päpstlichen Kurie ausarbeiten soll, hat bisher kein Ergebnis gebracht. Franz hat offenkundig kein Interesse an solchen strukturellen Fragen und regiert lieber „per Dekret“. Sonst hätte er etwa die längst überfällige Reform der Bischofsbestellungen in Angriff genommen, die regelmäßig Diözesen monatelang ohne Führung lässt. Allerdings zeigt Franz auch keinerlei Neigung, den sattsam bekannten Wunschkatalog der diversen Kirchenreformer zu erfüllen.

Wenn man in dem von einer Spontaneität zur nächsten stolpernden Pontifikat so etwas wie eine Linie ausmachen will, dann lässt sie sich an „Amoris laetitia“ exemplarisch erkennen. In dem Lehrschreiben hat der Papst eigenhändig die Ergebnisse der Familiensynode zusammengefasst. Die zentrale Streitfrage, die Zulassung „wiederverheirateter“ Geschiedener zu den Sakramenten, ist absichtlich so unklar formuliert, dass jeder herauslesen kann, was er will. Und so geschieht es auch: Bischöfe in Polen oder in Afrika ziehen daraus andere Konsequenzen als in Deutschland oder Malta; der Bischof von Philadelphia die gegenteilige dessen von Chicago.

„Heilsame Dezentralisierung“

Es läuft darauf hinaus, dass die Bischöfe ihre eigene Lehre über Ehe und Sakramente wählen müssen. „Heilsame Dezentralisierung“ nennt es der Papst selbst, und eben nicht nur in irgendwelchen pastoralen Fragen, sondern in der Lehre selbst. In der Frage der Ehe, bei der es eben nicht nur um pastorale Entscheidungen geht, hofft er wohl, dass sich seine „barmherzige“ Linie faktisch durchsetzen werde.

Welche Gefahren er darin sieht und welche Sorgen ihm das bereitet, hat der Präfekt der Glaubenskongregation Kardinal Gerhard Ludwig Müller in einem Buch dokumentiert: Dezentralisierung der Kirche dürfe nicht „separate dogmatische Erklärungen“ bedeuten, die womöglich „konstitutive sakramentale Strukturen relativieren“.

Um nicht weniger geht es also. Fast überflüssig zu sagen, dass Müller in der Frage von „Amoris laetitia“ eine andere Position bezieht als der Papst. Und schließlich auch noch: „Man kann nicht dem Papst dienen, wenn man einen Personenkult um ihn herum treibt.“

DER AUTOR

Hans Winkler war langjähriger Leiter der Wiener Redaktion der „Kleinen Zeitung“.

Debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2017)

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