Über Martin Luther, Teil 2

Von deutscher Angst und Obrigkeitshörigkeit. Und von einem Gott, von dem man nichts erwarten darf. Über Martin Luther, Teil 2.

Das Wort Angst ist ein dermaßen deutsches Wort, dass die Engländer gar nicht erst versucht haben, es zu übersetzen. Sie haben es einfach übernommen. Die German angst hat man nicht vor Prüfungen oder Zahnärzten, sondern – ja, wovor eigentlich? Angst ist sprachgeschichtlich mit eng verwandt, und das Perfide ist, dass man meist nicht weiß, ob diese Enge sich einem äußeren Druck oder einem inneren Sog verdankt.

„Angst essen Seele auf“ ist der Titel eines Films von Rainer Werner Fassbinder, einem bisweilen unerträglich deutschen Filmemacher. Müsste man die German angst ins Deutsche rückübersetzen, dann käme am ehesten etwas Vages wie Lebens- oder Existenzangstinfrage.

Es ist viel darüber gerätselt worden, warum die Deutschen ein so exklusives Techtelmechtel mit der Angst haben. In Tiefenschichten führt die Spur bis zu Luther zurück. Dessen Epoche war eine der Revolution, ein Religionskrieg lag in der Luft, kirchliche Besitzstände gerieten ins Wanken, Nonnen und Mönche verließen ihre Klöster, Bauern und Ritter griffen zu den Waffen. Die Welt stand Kopf, allenthalben wurde geköpft, gevierteilt und verbrannt. Luther sah sein großes Werk, das Wort Gottes unter die Leute gebracht zu haben, in Gefahr.

Und in dieser Stunde erwies sich Luther, der religiöse Revolutionär, der seine Welt in ihren Grundfesten erschüttert hatte, als militanter Reaktionär. Er verteufelte, im wahrsten Sinne des Wortes, jede Rebellion und erklärte die Obrigkeit für von Gott eingesetzt und unantastbar. Die sehr deutsche Zerrissenheit zwischen geistiger Kühnheit und politischer Obrigkeitshörigkeit ist ebenso ein Erbstück Luthers wie der viel beschworene deutsche Ernst.


Luther war ein Großmeister der German angst, überall sah er den Antichristen am Werk, das Teuflische hatte für ihn viele Gesichter, das des Papstes etwa, oder das der Türken, Bauern, Juden. Am meisten aber hat er jene verdammt, die glaubten, man könne es sich mit dem Herrn da oben richten. Die katholische Praxis, die kleinen und großen Sauereien mit entsprechender Münze zu büßen, hatte sich zur Ablassindustrie gemausert.

Diesem Gefeilsche ums Seelenheil stellte Luther einen folgenreichen Gedanken entgegen: den der durch nichts zu verdienenden Gnade. Gehorsam und Entsagung ist der Mensch seinem Gott schuldig, aber selbst wenn er alle Gebote achtet, ein gottesfürchtiges Leben führt, hat er dafür buchstäblich nichts zu erwarten. Mit Gott lässt sich nicht handeln. Gnade bedeutet, dass sie einem auch verwehrt werden kann, sonst wäre sie keine. Davor ist nicht einmal derjenige gefeit, der sich Zeit seines Lebens redlich bemüht hat, die Sau nicht rauszulassen. Kein Wunder, dass man es da mit der German angst zu tun bekommt.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2012)

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