Kleinganove

Wie ich in den Augen meiner Hausbesitzerin von einem Kleinganoven zu einem Menschen wurde, den man überschwänglich grüßt.

Ich hatte einmal eine Wiener Wohnung, vor der stand ein großer gelber Müllcontainer. Jeden Tag ging ich an ihm vorüber und konnte sehen, wie er sich allmählich mit Schutt von einer Baustelle im Treppenhaus füllte. Irgendwann bekam ich dann einen Brief von meiner Hausverwaltung, in dem ich unsanft ersucht wurde, gefälligst keinen Abfall mehr in den Container zu werfen. Andernfalls werde mir meine widerrechtliche Müllbeseitigung in Rechnung gestellt.

Nun möchte ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, wie ich mich verhalten hätte, falls ich einmal zufällig beim Passieren des Containers ein Stück Sperrmüll unterm Arm gehabt und absolut nicht gewusst hätte, wohin damit. Aber dieser Fall ist nie eingetreten. Kurzum: Ich war's nicht.

Meine Erkundigung bei der Hausverwaltung, warum der Verdacht ausgerechnet auf mich gefallen war, brachte nichts ein. Die plausibelste Erklärung war wohl, dass die unter mir wohnende Hausbesitzerin, ein betagte Dame mit zwei adrett frisierten Pudelchen, die Ermittlungen in meine Richtung gelenkt hatte. Der Lebenswandel eines Freiberuflers (mittägliches Wohnungsverlassen, wenn überhaupt!) und gelegentliches Musizieren mit elektrisch verstärkten Instrumenten hatten wohl ihren Argwohn geweckt.


Nach der Containergeschichte herrschte Eiszeit im Treppenhaus, bis zu dem Zeitpunkt, als der Postler versehentlich ein an mich adressiertes Schreiben in den Briefkasten der Haus- und Pudelbesitzerin steckte. Auf dem Umschlag des Briefes stand nämlich nicht nur mein Name, sondern auch mein akademischer Titel, was zur Folge hatte, dass von einem Tag auf den anderen die Eiszeit im Treppenhaus erstaunliche Tauwetterperioden erlebte. Nicht dass die gute Frau mich fortan prinzipiell freundlich gegrüßt hätte, aber sobald bei unseren Begegnungen auch ihre Nachbarin zugegen war, eine betagte Dame mit zwei adrett frisierten Chihuahuas, flötete die Pudelbesitzerin ein unüberhörbares „Grüß Gott“, gefolgt nicht etwa von meinem Namen, sondern von meinem Titel. Ein Doktor im Haus, das ist schon was.

Ich bin ja heilfroh, dass sich das alles ereignet hat, bevor meine Landsleute in Scharen nach Österreich gekommen sind. Denn seit sie hierzulande die stärkste Migrantengruppe bilden, belegen sie auch in den hiesigen Kriminalitätsstatistiken Jahr für Jahr die vorderen Plätze, was natürlich in der österreichischen Presse gern mit süffisanten Kommentaren bedacht wird. Heute hätte mir sicher kein Titel mehr aus der Patsche geholfen.

Was mich aber offen gesagt am meisten wundert, ist, dass sich all die deutschen Ganoven und Langfinger so einfach erwischen lassen. Von der österreichischen Polizei! Die deutsche Gründlichkeit ist auch nicht mehr das, was sie mal war.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2012)

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