Student beim Ohr gepackt

Warum ich bei der vergangenen WM beinahe einen Studenten beim Ohr gepackt und etwas politisch Brisantes hineingeschrien hätte.

In der „Presse“ war neulich zu lesen, was typisch deutscher Fußball sei: „grottenschlecht zu spielen und am Ende im Finale zu stehen“. Na ja. Nun ist selbst einem so schamlos parteiischen Fan wie mir bewusst, dass die Deutschen nicht immer mit Prachtfußball geglänzt haben. Bisweilen waren es die drei großen Ks, die den Gegner zermürbten: Kondition, Kampfkraft, Karacho. Aber dann kam die WM 2006, das „Sommermärchen“ im eigenen Land, und man traute seinen Augen nicht. Da spielte ein junges Team einen Fußball, den man bei deutschen Spielen selten gesehen hatte: offensiv, kreativ und voller Spielfreude. Was sagte Trainer Klinsmann zum jungen David Odonkor, als er ihn beim Spiel gegen Polen in der heiklen Schlussphase einwechselte? Nicht „Gib alles“ oder „Hau rein“, sondern: „Hab Spaß!“

Offenbar war auch den Österreichern die wunderbare Wandlung der deutschen Mannschaft nicht entgangen. Nach dem dramatischen Viertelfinale gegen Argentinien, das Deutschland im Elfmeterschießen für sich entschied, trat ein Wiener in einem Café auf mich zu und sagte leise, hinter vorgehaltener Hand: „Ihr habts es eh verdient.“


Und dann kam das Halbfinale gegen Italien, einer der schwärzesten Tage in meiner persönlichen Fußballgeschichte. Es war eine hart umkämpfte, ausgeglichene Partie, zumindest bis zur 119. und 120. Minute. Ich verfolgte das Spiel in einem alternativen Wiener Jazzbeisl, am Nebentisch saß eine Gruppe Studenten, Typus: Ich komme vom Land und fürchte nichts mehr als den Verdacht, ich könnte meine provinzielle Herkunft verleugnen. Natürlich bejubelten sie lauthals den Sieg der Italiener.

Ein Freund, der dabei war, hat unlängst gemeint, ich sei nach dem Schlusspfiff mit so einem seltsamen Blick dagesessen und hätte mantraartig immer wieder vor mich hingesagt: „Verdienter Sieg, waren halt eine Spur cleverer, verdienter Sieg...“ Was der Freund nicht wusste, war, dass das Mantra vor allem dazu diente, den Impuls niederzukämpfen, einen der Studenten beim Ohr zu packen und hineinzuschreien: „Und was ist an diesen Italienern sympathischer, diesen Unterwäschemodels mit ihrem abgezockten Sicherheitsfußball? Kein Wunder, dass es hier keine echte 68er-Bewegung gegeben hat, wenn ihr braven Bubis bis heute in biederer Eintracht mit euren Vatis und Großvatis gegen die Deutschen haltet, egal, wie oder gegen wen sie spielen. Wieso zeigt ihr euren Eltern nicht zur Abwechslung mal den Finger, wie es sich für junge Menschen gehört, und malt euch die Nasen schwarz-rot-gold an?“

Aber Gott sei Dank hatte ich mein Mantra, und das alles blieb ungesagt. Was ich aber nicht ungesagt lassen möchte, ist: Die rote Karte für Klose beim Spiel gegen Serbien war eine Schweinerei, das müssen Sie doch zugeben, verdammt noch mal!

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.