Antwort auf Roland Neuwirth

Ist Österreich eine "blutjunge Nation", die sich ihrer Sprache, ja ihrer selbst nicht sicher ist? Eine Antwort auf Roland Neuwirth.

Jedes Mal, wenn ich mein Heimatdorf besuche und dort zufällig jemanden treffe, der mich noch aus Kindertagen kennt, gibt es einen befangenen Moment. Wie rede ich mit ihm, in welcher Sprache? Im „rheinischen Platt“, das ich seit Jahrzehnten nicht mehr spreche? Wenn ich es versuche, bin ich erstaunt, dass die Wörter noch da sind. Aber es ist ein Gefühl, als würde ich in die Kleidung eines Fremden schlüpfen. Dann weiß ich: Die Sprache meiner Kindheit ist mir abhanden gekommen.

Von der Sorge der Österreicher, ihre Sprache zu verlieren, war in meiner letzten Kolumne recht abschätzig die Rede. Roland Neuwirth, der mit seinen „Extremschrammeln“ seit Langem beweist, dass ihm diese Sorge ein Anliegen ist, hat in einem Gastkommentar der „Presse“ vom 18.11. darauf geantwortet und mir vorgeworfen: „Wenigstens bestärken hätten Sie uns können, nicht noch unsicherer machen, als wir es ohnehin schon sind. Wir sind noch eine blutjunge Nation, welcher damals übrigens von den Alliierten zur Bedingung gestellt wurde, sich nicht mehr ,Deutschösterreicher‘, sondern ,Österreicher‘ zu nennen. Ich bekenne mich dazu.“


Lieber Herr Neuwirth, ich fürchte, für dieses Anliegen bin ich nicht die richtige Adresse. Denn die Bereitschaft der Österreicher, sich derart rasch kollektiv in Frage gestellt zu fühlen, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Brauchen Sie wirklich noch die Alliierten, um zu wissen, wer Sie sind?

Die falsche Adresse bin ich schon deshalb, weil wir Deutschen der ewige Reibebaum für die Identitätsängste der Österreicher sind. In zwei Jahrzehnten bin ich hier nie das Gefühl losgeworden, dass der Abgrenzungswille gegenüber meinesgleichen von dem Wahn genährt wird, eine Annäherung hätte sofort einen völligen Identitätsverlust zur Folge. Herr Neuwirth, Ihre „blutjunge Nation“ ist doch längst in den besten Jahren, Umfragen belegen, dass die Österreicher sich mit überwältigender Mehrheit als Nation empfinden. Und jetzt, wo eine junge Generation hörbar ihre Berührungsängste verliert, soll ich darüber besorgt sein? Es ist doch ein Zeichen dafür, dass sich da etwas entspannt.

Sie schreiben: „Die Jungen haben bereits den bundesdeutschen Tonfall. Das ist eine andere Musik. Sie haben den Ton verloren.“ Wer hätte dafür ein besseres Ohr als Sie? Aber was Sie als bundesdeutschen Ton bezeichnen, ist doch in Wahrheit nur die synthetische Einheitssprache des Fernsehens. Glauben Sie etwa, dass dieser sterile Sound in der bunten Sprachvielfalt meiner Heimat nicht genauso seine Verödungen hinterlassen hat? Der Verlust von etwas so Intimem, Vertraut-Familiärem wie der eigenen Sprache ist schmerzlich, keine Frage. Er führt uns die Flüchtigkeit des Lebens vor Augen. Indes: Sich dem entgegenstemmen zu wollen ist nichts als ein Kampf gegen Windmühlen.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2010)

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