Beinhartes Neujahrsmatch zwischen Sur- und Sauerbraten

Sind die Österreicher größere Genießer als wir Deutschen?

Manchmal stelle ich mir einen Türken vor, dem der Kragen platzt und der sich über das Wort „Kümmeltürk“ mit dem Ausruf empört: „Dabei mag ich noch nicht einmal Kümmel!“ – So ähnlich geht es mir bisweilen mit dem Etikett „Piefke“. Johann Gottfried Piefke (1815–1884), unser aller Namenspatron, war ein zackiger Militärmusiker und vor allem: Preuße. Und einem katholisch geprägten Rheinländer ist das Preußisch-Protestantische kaum weniger fremd als einem Bayern.

Mein Studienort Aachen liegt an einem Dreiländereck. Fährt man von dort aus die belgisch– niederländische Grenze entlang und kehrt zum Essen einmal auf der einen, dann auf der anderen Seite ein, macht man eine interessante Erfahrung. Im katholischen Belgien gibt es eine Vielzahl von vorzüglichen kleinen Restaurants; im protestantischen Holland sucht man sich am besten gleich einen Asiaten – es sei denn, man schätzt jene zentnerschwere Erdverbundenheit, die eine Sauce hollandaise in einem hinterlässt. Man kann das Experiment im großen Stil wiederholen, zickzack durch den Ärmelkanal: hier das Schlaraffenland par excellence, dort eine Küche, über die der Kölner Kabarettist Jürgen Becker einmal gesagt hat: „Bed & Breakfast? Da essen Sie besser das Bett!“

Nun möchte ich meine protestantischen Landsleute keineswegs pauschal als spröde Genussmuffel abtun und ihren kulinarischen Beitrag auf Bismarckheringe und Königsberger Klopse reduzieren. Aber die genusssüchtigen Leckermäulchen, die sich gern in der Trias aus Sünde, Beichte, Fastenzeit austoben,sind doch eher im Katholischen zu Hause.


Es gibt einen alten Disput zwischen mir und meiner Freundin über die Frage, wessen Heimat die bessere Küche hat. In einem Punkt gebe ich mich sofort geschlagen: bei Hefe-Herrlichkeiten wie einer mit Liebe gebackenen Buchtel. Zumal unser Pendant zum Krapfen, der Berliner Ballen, nicht anders schmeckt,als er klingt. Nur für unsere „Taat“ (einen flaumigen Kuchen, gefüllt mit Obstkompott) habe ich hierorts noch keinen Ersatz gefunden.

Womit ich todsicher punkte, ist Rheinischer Sauerbraten, tagelang eingelegt in einer Marinade aus Wein, Essig, Dörrpflaumen, Rübensirup und Gewürzen. Eine köstlichere Methode, ein Rindvieh zu veredeln, ist mir noch nie untergekommen. Sauer heißt übrigens im Rheinischen „sur“, darum war ich hin und weg, als ich erfuhr, dass es bei meiner Schwiegerfamilie zu Neujahr stets einen Surbraten gibt. Meine Enttäuschung, als mir am Ende eine gebeizte Sau serviert wurde, habe ich mit so viel lautem „Lecker!“ kompensiert, dass es fortan mir zu Ehren nur so surte, auch ohne Neujahrskonzert im Hintergrund. Inzwischen muss ich einräumen: Hat schon was, diese schweinische Pökelei. Aber wenn ich zwischen sur und sauer wählen müsste...

dietmar.krug@diepresse.com diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.01.2011)

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