Ein Rheinländer in Wien, Teil 1

Wie ein Herr aus Koblenz sich daranmachte, den Lauf der Welt zum Stillstand zu bringen.

Was kommt dabei heraus, wenn ein Rheinländer in Wien Karriere macht?Zum Beispiel eine Revolution im Reich der Töne. Oder ein lebenslanger Kampf gegen alles, was nach Revolution riecht. Der Bonner Beethoven hat die Musik ein gutes Stück in Richtung Moderne gewuchtet; der Koblenzer Metternich hat als „Kutscher Europas“ dem Rad der Zeit in die Speichen gegriffen. Beides ist untrennbar mit Wien verbunden.

Beim römisch-deutschen Kaiser in Wien hat die Familie Metternich Zuflucht gesucht, als französische Revolutionstruppen das Rheinland besetzt hatten. Ein Großteil des reichsgräflichen Besitzes war verloren – eine traumatische Erfahrung für den ebenso standes- wie geltungsbewussten jungen Klemens. Dass der Wiener Adel anfangs auf die Zugereisten herabblickte, hat Metternich nie verwunden. Noch Jahrzehnte später ätzte er: „Wien ist die Hauptstadt der Musik, weil es gedankenlos ist.“

Erst eine geschickt eingefädelte Heirat öffnete ihm die Türen zur Wiener Hocharistokratie und schließlich zu den höchsten Regierungsämtern. Die Ehe war ihm heilig, doch für die bürgerliche Sexualmoral hegte dieser genusssüchtige Rokoko-Narziss ebenso viel Verachtung wie für die Rechte der Bürger. Auch sonst war er seltsam zwiespältig. Die Lyrik Heinrich Heines – noch so ein Rheinländer – konnte ihn zu Tränen rühren, was ihn nicht davon abhielt, dessen Schriften verbieten zu lassen. Dafür stand ihm ein Zensur- und Spitzelsystem zur Verfügung, das die deutsche Geisteswelt kaum weniger effizient vergiftete als die spätere Stasi.


„Ich bin in eine abscheuliche Periode gefallen“, hat Metternich einmal geklagt, „heute bringe ich mein Leben zu, die morschen Gebäude zu stützen.“ Wer dieses Flickwerk ausschließlich als Versuch deutet, für sich und seinesgleichen so lange wie möglich die sonnigsten Plätze zu sichern, der tut dem Staatskanzler unrecht. Er hatte zwei Kriegsjahrzehnte mit hunderttausenden Toten erlebt, und er war entsetzt, als Napoleon ihm gestand: „Ein Mann wie ich scheißt auf das Leben von einer Million Menschen.“ Den Krieg hat Metternich seinem morschen Gebäude für Jahrzehnte vom Leib gehalten, nicht aber den Holzwurm. Seiner Unfähigkeit, das Haus Habsburg rechtzeitig zu reformieren, ist es nicht zuletzt zu verdanken, dass es am Ende noch weit apokalyptischer kollabiert ist, als er sich das je hätte träumen lassen.

„Et is, wie et is“, sagt man bei uns im Rheinland. Und dieser als Weisheit getarnte Seufzer impliziert in der Regel nicht, dass sich am Stand der Dinge etwas ändern könnte. In solcher Denkart haben die Habsburger sich aufs Prächtigste mit dem störrischen Koblenzer verstanden. Manchmal kommt mir vor, als würde sein Gespenst gerade heute wieder kräftig durch die Politik spuken.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.