Hochdeutsch als Tor zur Welt

Hochdeutsch als Tor zur Welt oder: Ist es ein Zeichen von Selbstbewusstsein, dass so viele Österreicher zu ihrem Dialekt stehen?

Nach dem Abitur stand für mich fest: Wenn ich nicht den Verstand verlieren will, muss ich raus aus meinem rheinischen Heimatkaff. Mein Glück war, dass zwei Freunde das ähnlich sahen, und so zogen wir gemeinsam nach Aachen. Obwohl die Stadt am Dreiländereck gerade einmal 30Kilometer entfernt lag, war sie für uns das Tor in eine andere Welt. Das Erste, das wir dieser Welt opferten, war unsere Mundart. Nicht dass man in der beschaulichen Kaiserstadt keinen Dialekt gesprochen hätte, aber wir wollten in die studentische „Szene“, und da sprach man Hochdeutsch. Der Übertritt fiel mir etwas leichter, weil ich als Sohn eines rheinischen Vaters und einer ukrainedeutschen Mutter „zweisprachig“ aufgewachsen bin.

Eine Weile lebten wir drei Freunde in mehreren Sprachebenen mit schleichenden Übergängen, und irgendwann kippten wir, ohne es recht zu merken, auch miteinander ins Hochdeutsche. Doch sobald einer von uns die Eltern an der Leitung hatte, war es vorbei mit der neuen Coolness. Meine Freunde sprachen dann reinstes Rheinisch, und auch ich hätte es nie übers Herz gebracht, zu meinem Vater das statt dat zu sagen.

Als ich dann drei Jahre später nach Wien ging, lernte ich anfangs fast ausschließlich Studenten aus den österreichischen Bundesländern kennen. Und ich war überrascht, wie viele von ihnen an ihrem Heimatdialekt festhielten. Die Spaltung zwischen Stadt und Land ist hier eine affektgeladene Spannung zwischen dem goscherten Wien und dem gscherten Rest der Welt. In Österreich gilt es als zutiefst verpönt, sich offen von seinem Herkunftsmilieu abgrenzen zu wollen. Hier wird noch jede Nase, die sich erhebt, niedergerümpft.


Anfangs habe ich die Österreicher für ihren selbstbewussten Umgang mit dem Dialekt bewundert, und bis heute packt mich hin und wieder der Neid, weil die Sprachvielfalt hierorts noch weit vitaler gedeiht als bei uns in Deutschland. Doch was wie Selbstbewusstsein aussieht, ist oft nur auf Kosten einer Selbstbeschränkung zu haben.

Wenn ich etwa höre, wie plump manipulativ manche Politiker den Wechsel vom Hochdeutschen zum Dialekt einsetzen, dann weckt das klaustrophobische Erinnerungen an die Enge meines Heimatdorfs. „Die Leit im Lond wolln, doss wos g'orbeit wird in der Regierung“, heißt es dann – damit die Menschen auch ja verstehen, was sie wollen sollen. In solchen Momenten kalkulierter Bodenständigkeit wird das Inszenierte an der vermeintlich authentischen Sprache sichtbar. Die künstliche Stallwärme, die dabei entsteht, dient nur dazu, die Schafe am Verlassen der Koppel zu hindern. Als Belohnung für den Verzicht auf die Welt da draußen wird ihnen dann versprochen, dass sie ihre Tröge mit niemandem teilen müssen.

dietmar.krug@diepresse.com diepresse.com/diesedeutschen

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2011)

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