Über Bruno Kreisky, Teil 2.

Hätte Kreisky gut daran getan, wie sein Freund Willy Brandt vor dem Warschauer Mahnmal niederzuknien? Ich gestehe, ich weiß es nicht. Über Bruno Kreisky, Teil 2.

In einem Interview mit der „Zeit“ aus Anlass von Kreiskys 100. Geburtstag hat sich der deutsche Ex-Kanzler Helmut Schmidt kritisch über die Nahost-Politik seines ehemaligen Amtskollegen geäußert. Kreiskys Vermittlerposition sei schon aufgrund von Österreichs Rolle in der NS-Zeit unangebracht gewesen. „Was ihm zugestanden hätte“, so Schmidt, „wäre eine Geste gewesen wie zum Beispiel der Kniefall von Willy Brandt im Ghetto zu Warschau.“

Ein Kanzler Kreisky auf den Knien vor einem Holocaust-Mahnmal, noch dazu im Ausland? Eine unmögliche Vorstellung, wie mir scheint. Und über das, was mir diese Vorstellung so unmöglich macht, wollte ich eigentlich in dieser Kolumne schreiben. Doch nach dem zwanzigsten Versuch, auch nur den ersten Satz zu formulieren, habe ich es aufgegeben.


Eine solche Kolumne müsste die Frage beantworten: Ist es nicht ein Unterschied, ob derjenige, der einen solchen Kniefall macht, jüdischer Herkunft ist oder nicht?

Kreisky jedenfalls hat diese Unterscheidung getroffen. Seinen Sohn Peter etwa hat er 1986 davon abzubringen versucht, sich an einer Mahnwache gegen Kurt Waldheim zu beteiligen, mit dem Argument, ein solcher Protest sei vornehmlich Aufgabe der Nichtjuden.

In meiner nicht geschriebenen Kolumne hätte ich aber auch fragen müssen, wie es möglich war, dass ein österreichischer Bundeskanzler, dessen halbe Familie im Holocaust ermordet wurde, gleich vier ehemalige Nazis in sein Kabinett bestellte. Und warum Kreisky sich schützend vor FPÖ-Chef Friedrich Peter stellte und Simon Wiesenthal ohne jeden Beweis als Gestapo-Kollaborateur verleumdete, nachdem dieser publik gemacht hatte, dass ebenjener Friedrich Peter Mitglied in einer SS-Mordbrigade gewesen war.

Für diese Fragen braucht es mehr Worte, als in einer Kolumne Platz haben. Vielleicht auch mehr, als in meinem Kopf Platz haben.


Manchmal frage ich mich, wie Willy Brandt wohl all das gesehen hat. Hat er mit seinem Freund und Weggefährten über diese Dinge geredet? Hat er verstanden, was Kreisky veranlasste, seinem Land zu signalisieren: Seht her, ich vergebe den Tätern? Und das, noch bevor irgendjemand seine Schuld eingestanden hatte. Hat Brandt je seinem Freund zu bedenken gegeben, ob eine solche Haltung nicht am Ende bedeutete, die Opfer im Stich zu lassen?

1983 lud ein Ehrenkomitee den SPD-Vorsitzenden Brandt ein, an der Feier von Wiesenthals 75. Geburtstag mitzuwirken. Brandt zögerte zuzusagen, weil er natürlich mitbekommen hatte, was sich da zwischen Kreisky und Wiesenthal abgespielt hatte. Schließlich ließ er bei dem Freund in Wien anfragen, wie er sich verhalten sollte. Kreisky ließ nur in der ihm eigenen grantigen Art ausrichten: „Kein Kommentar.“

So fand die Feier schließlich ohne den Mann statt, der den Mut aufgebracht hatte, stellvertretend für sein eigenes Land niederzuknien.

dietmar.krug@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2012)

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