Oh Gott - der Dalai Lama

Wenn der Dalai Lama auf Besuch kommt, kriegen die Westler meistens feuchte Augen. Ach, die armen Tibeter, das Jö-wie-herzig-Volk, die guten Exoten.

Selbst sonst ernst zu nehmende Medien schreiben unbekümmert vom „Gottkönig" oder „Gott zum Anfassen". Und der erzählt dann so Allweltssprüche wie „Ohne Lächeln ist unser Leben traurig" oder „Liebe ist die Mitte des menschlichen Lebens" (. . .) Und niemand greift sich an den Kopf, wenn der Herr Lama sagt, er sei die soundsovielte Wiedergeburt des Herrn-weiß-ich-doch-was. Und alle finden es völlig normal, dass Herr Lama sich bei seinen Staatsgeschäften von einem etwas bekifften älteren Herrn, seinem Orakel, beraten lässt. Den Höhepunkt der Begeisterung erzielte er beim weiblichen Geschlecht, als er in Hamburg das sagte, was kein Papst auch beim besten Willen je wird sagen können: „Vielleicht komme ich im nächsten Leben als Frau zur Welt." Die reale Umsetzung der Frauenordination im Hier und Heute lässt er genau so bleiben wie sein katholisches Pendant (nicht sehr exakter Begriff, ich weiß). Man kann es drehen und wenden, wie man es will: Der tibetanische Buddhismus ist so fundamentalistisch wie, sagen wir, der Islam der Islamisten oder das Christentum der Evangelikalen oder der Katholizismus des Opus Dei oder das Judentum des Gusch Emunim. (. . .) Die „Welt" schreibt dazu: „Gemeinsame Kriterien für den Fundamentalismus jeglicher Glaubensrichtung, der heute weltweit in der großen Politik mitmischt, sind die Befürwortung des Heiligen Krieges gegen Andersgläubige, die Erwartung eines militanten Erlösers, die Prophezeiung einer Endschlacht zwischen Gut und Böse und die Errichtung eines theokratischen Weltreiches. All das sollte man im Buddhismus nicht erwarten. Aber genau eine solche apokalyptische Djihad-Vision steht im Zentrum eines Heiligen Textes aus dem 10. Jh. n. Chr., dem sogenannten Kalachakra-Tantra, der für den Dalai Lama größte Bedeutung hat." Also bleiben wir auf dem Teppich und werfen zweihundert Jahre Aufklärung wegen eines sogenannten „Gottkönigs" nicht so leichtfertig über Bord. Der Preis, den wir bezahlen müssten, wäre zu hoch.

Manfred Messmer
Schweiz

http://arlesheimreloaded.ch/

("Die Presse" Print-Ausgabe, 02.08.2007)

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