Meinung: Eine turbulente Geschichte

E
r hieß Hellmut Andics. Mit seiner Serie in der "Presse" Anfang der sechziger Jahre machte er Furore: "Der Staat, den keiner wollte". In Buchform ist die journalistisch aufbereitete Darstellung der 1. Republik (und ihres Scheiterns) noch heute ein Standardwerk.

"Der Staat, den jeder wollte?" Die heute beginnende "Presse"-Serie schließt nicht direkt dort an, wo Andics endete. Ganz bewusst. Denn die zehn Jahre Besatzung zwischen Kriegsende und Staatsvertrag werden im Jubiläumsjahr ausführlich beleuchtet werden. Was uns interessiert, ist die Fortentwicklung der Gesellschaft seit dem legendären 15. Mai 1955 bis heute.

Eine Erfolgsstory nennt Hannes Androsch die vergangenen fünfzig Jahre. Er meint - obwohl früher einer der bekanntesten Politiker - nicht nur den Zuwachs an Wohlstand, nicht nur Exportziffern und Budgetzahlen. Auch die Zivilgesellschaft hat sich weiterentwickelt, hat zu einem unaufgeregten Patriotismus gefunden, einem Grundkonsens über alle Parteigrenzen hinweg, kurz: Ein Gemeinwesen, auf das man stolz sein kann, ungeachtet aller Petitessen, die das parteipolitische Kleingeld darstellen.

Mit dem unbeschreiblichen Jubel der Wiener über die Wiedereröffnung "ihrer" Staatsoper und des Burgtheaters beginnt die Serie. Doch schon 1956 - kaum hat das souveräne Österreich halbwegs Tritt gefasst - überrollt die Weltpolitik das kleine Land. Der Aufstand der Ungarn gegen die kommunistische Diktatur wird von der Roten Armee blutig niedergewalzt - Tausende Flüchtlingsfamilien finden in Österreich Asyl. Viele sind geblieben. Wie später die Tschechen & Slowaken nach ihrer vergeblichen Rebellion gegen das KP-Regime. So wie viele Polen während des Kriegsrechts. Und - mit der vorderhand letzten Flüchtlingswelle - die Bürger des zerfallenden Jugoslawien.

V
on weltpolitisch wichtigen Besu chen in Österreich wird die Serie berichten, von großartigen karitativen Leistungen, von architektonischen. Die dunklen Seiten werden aber ebenso ausgeleuchtet. Politisch motivierter Terror hat unser Land in Atem gehalten, spektakuläre Kriminalfälle. Der Sport hat seinen eigenen Stellenwert - auch er hat das Selbstverständnis der Zweiten Republik geprägt. Und die Kultur in allen Ausprägungen natürlich auch. Dies alles ist Österreich. Eine turbulente Geschichte. Wir zeichnen sie nach. Samstag für Samstag. Blättern Sie um!

hans-werner.scheidl@diepresse.com

Österreich

1955 - 2005:

Der Staat, den jeder wollte?

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