Jaggers und Springsteens Konzepte für die Mariahilfer Straße

"Summer's here and the time is right for..." Ja, wofür denn? Tanzen? Kämpfen? Rasen? Was Popsongs zum Thema Straßennutzung zu sagen haben.

Wenn ich Rad fahre, gehen mir Fußgänger und Autofahrer auf die Nerven. Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, machen mich Radfahrer und Autofahrer nervös. Wenn ich (selten) mit dem Auto fahre, nerven mich Fußgänger, Radfahrer und – vor allem! – andere Autofahrer. Dieses nicht wirklich originelle Bekenntnis eines trimodalen Verkehrsteilnehmers soll uns direkt auf die Mariahilfer Straße führen, wo die Autos vor einigen Tagen deutlich an Macht und Raum eingebüßt haben. Etliche klagen darüber (nicht die Autos, sondern ihre Halter), aber auch manche Fußgänger fragen mit einem leichten Anflug von Agoraphobie in der Stimme: „Und was tun wir jetzt mit der weiten freien Straße?“

Nicht das bitte, was Paul McCartney 1968 in „Why Don't We Do It in the Road?“ vorschlug: Die zweite Zeile des Songs („Nobody will be watching us“) ist unrealistisch, und wenn alle Voyeure gespannt hin- und alle Schamhaften krampfhaft wegschauen, ist der Blickverkehr gestört, und es kommt zu ungeplanten Kollisionen.

Im selben Jahr nahmen sich auch die Rolling Stones des Themas der Straßennutzung an. „Summer's here and the time is right for fighting in the street“, sang Mick Jagger in der Strophe, um im Refrain festzustellen: „In sleepy London town there's no place for street fighting men.“ Ich war unlängst in der Londoner Oxford Street und kann berichten, dass dort tatsächlich nicht gekämpft wird. Aber auch nicht gesessen: Es gibt keine Bänke, keine Schanigärten, nicht einmal Kaffeehäuser. Dagegen ist/war die Mariahilfer Straße selbst an einem Einkaufssamstag mit Stoßverkehr im Advent eine Kurpromenade.

Der „Street Fighting Man“ der Stones war freilich eine Anspielung auf einen älteren Song: „Dancing in the Streets“ von Martha And the Vandellas, 1964. „Summer's here and the time is right for dancing in the streets“, hieß es darin. So unpolitisch das heute klingt, damals wurde es, vor allem von Afroamerikanern, als aufmüpfiger Slogan empfunden: Die Straßen gehören (auch) uns.

Eine dritte Variation schlug Bruce Springsteen 1978 vor: „Summer's here and the time is right, we're going racing in the street.“ Es ist in Text und Musik einer der traurigsten Springsteen-Songs: Den vom Leben Geplagten und Gezeichneten bleibt nur die sinnlose Raserei, vorzugsweise mit einem 69er-Chevy, wie Springsteen, der alte Autonarr, nicht zu erwähnen vergaß. Vielleicht könnte man ihm zuliebe für Kraftwagen dieses Typs auf der Mariahilfer Straße eine Ausnahme machen. Bei Tempo 20 natürlich.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2013)

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