Mithras, Lady Gaga, die Tanne und der Stier

Natürlich ist Weihnachten auch ein Fest für Synkretisten. Daran darf man in der lautesten Zeit des Jahres denken.

Getrieben durch Lichtmangel und Punsch, ist der Advent nicht nur die lauteste Zeit des Jahres, sondern auch eine Hochsaison für Verhaltensauffällige. St.J.A.Germanotta, die als Lady Gaga die Verhaltensauffälligkeit zur Kunstform gemacht hat, weiß das. Und so lief sie, nachdem sie schon 2008 einen Song namens „Christmas Tree“ gesungen hatte (mit den schönen ersten Zeilen: „Ra pa pam pam, ra pa pam pam, ra pa pam pam, ra pa pam pam, light me up with me on top, let's falalalalalalala“), heuer als solcher durch die Straßen Londons, mit einer Tannenkrone samt Glitzerkugeln auf dem grünen Haar.

Mich erinnerte dieser Anblick erstens an die Stelle im Asterix-Band „Kampf der Häuptlinge“, wo der Zenturio die Tarnkunst seiner Legion überschwänglich lobt, bevor man ihn sachte darauf hinweist, dass er nicht vor dem als Wald verkleideten Spähtrupp, sondern vor der Gartenhecke steht.

Zweitens an meine liebe Volksschullehrerin, die mich im Advent beiseitenahm und vorsichtig fragte: „Sag, habt ihr Evangelischen eigentlich auch einen Weihnachtsbaum?“ Heute würde ich – wenn mich die Schlagfertigkeit nicht wieder einmal im Stich lässt – mit einem stolzen „Wir haben ihn erfunden!“ antworten, damals begnügte ich mich mit einem schüchternen Ja.

Dass die römische Kirche, was Schmuck anbelangt, im Allgemeinen führend ist, muss man neidlos anerkennen. Und dass sie auch in Sachen seelsorgerischer Schönheit einiges zu bieten hat, zeigt sie mit dem „Calendario Romano“, der alljährlich Bildnisse zwölf fescher Priester bringt.

Dürfen Kirchen mit so weltlichen Reizen werben? Aber sicher. Wer das Geistliche völlig vom Sinnlichen befreien will, dörrt es aus. Das meinte wohl ein Kritiker der „Welt“, als er in der Besprechung über die Karlsruher Ausstellung „Isis, Mithras, Christus“ abschließend schrieb: „Wenn man sich etwa evangelische Kirchentage anschaut, dann könnte man schon auf den Gedanken kommen, dass ein bisschen Mithraskult als religiöses Kontrastprogramm nicht schlecht wäre.“

Passt. Das Fest der unbesiegten Sonne war ohnehin am 25.Dezember. Und den Stier soll der gute Mithras halt mit einem Tannenzweig abstechen. Lady Gaga hilft ihm gern.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2013)

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