Vor einem Urknall hätte ich Angst

Die Physiker sollten sich von Angeber-Sprüchen à la „Urknall nachspielen“ klar distanzieren.

Die Forscher sind der Schöpfung selbst auf der Spur“, schwärmt der „Kurier“: Sie wollen „den Urknall nachspielen“. Noch feuriger drückt es der „Spiegel“ aus: „In diesem Sommer nimmt nahe Genf der stärkste Teilchenbeschleuniger aller Zeiten den Betrieb auf. Die Forscher wollen darin das Feuer des Urknalls zünden.“ Dann, schwelgt der „Standard“, „wird der Beschleuniger eine Zeitmaschine, die es erlaubt, bis auf den Bruchteil einer Mikrosekunde an den Ursprung des Universums heranzufahren, an die Geburt von Materie, Raum und Zeit“.

Mit weiteren Emanationen entgleister Wissenschaftspoesie ist zu rechnen, zumindest bis, angeblich spätestens im Oktober, ein durch Los bestimmter Physiker am Cern in Genf endlich den „Large Hadron Collider“ (LHC, siehe rechts)anwerfen wird, begleitet vom vierten Satz der neunten Symphonie Beethovens („Ode an die Freude“): Sage niemand, dass die Physiker keinen Sinn für Pomp hätten!

Eine ganz andere, aber auch höchst dramatische Melodie blasen Kritiker des Vorhabens, etwa der deutsche Chemiker und Chaostheoretiker Otto Rössler: Sie warnen vor katastrophalen Ereignissen, die im LHC ausgelöst werden könnten. Da ist von winzigen Schwarzen Löchern die Rede, die sich bilden und doch irgendwie wachsen könnten, von zum Wuchern neigender „seltsamer Materie“, bisweilen gar von einem Vakuum, in das das gesamte Universum stürzen könnte, weil es sich derzeit in einem „falschen“, metastabilen Vakuumszustand befinde...

All diese apokalyptischen Visionen sind inspiriert von (ernsthaft vorgetragenen) Spekulationen seriöser Physiker, dennoch spielt man sie am Cern nonchalant herunter. Der LHC erreiche zwar „höhere Energien als jeder Teilchenbeschleuniger zuvor“, heißt es in einer Aussendung, aber: „Die Natur selbst erzeugt unablässig noch höhere Energien in Stößen kosmischer Strahlung.“ Beruhigend. Oder?


Es gibt zwei Möglichkeiten, mit der Causa umzugehen. Entweder man nimmt die großartigen Ankündigungen der Cern-PR (die von den armen Journalistenkollegen ja nicht erfunden werden) ernst. Dann muss man alles tun, um zu verhindern, dass der LHC gestartet wird. Wer die wilden Spekulationsblasen der Kosmologen und theoretischen Teilchenphysiker auch nur am Rande verfolgt, weiß, dass diese weit davon entfernt sind, die Physik, wie sie knapp nach dem Urknall geherrscht hat, zu verstehen, geschweige denn, dass sie sie beherrschen könnten. Sie können sich nicht einmal darauf einigen, wie viele Dimensionen das Universum hatte respektive hat.

Oder man nimmt sie nicht ernst. Dann muss man von den Physikern verlangen, dass sie sich von prahlerischen Sprüchen à la „Urknall nachspielen“ klar distanzieren und offen zugeben, dass sie nichts tun werden, als Teilchen mit Energien aufeinander zu schießen, mit denen sie auch sonst bisweilen aufeinander prallen, nur eben unter besserer Beobachtung. Ein Urknall sieht anders aus (und wir wollen ihn auch nicht erleben, weil wir ihn nicht überleben würden.)

Ich neige, auch wenn das die Physiker kränken mag, eindeutig zur zweiten Interpretation. Und wenn ich mich irre? Dann wünsche ich mir mit Schiller „eine heitre Abschiedsstunde“, „süßen Schlaf im Leichentuch“ wird's wohl nicht mehr spielen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2008)

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