Die Wespe spricht nicht Wepsisch, aber sie trinkt Cola

Unsere Sympathien für Vertreter der Ordnung Hautflügler sind eher ungleichmäßig verteilt – besonders im Hochsommer.

„The wasp is the best“, sang Jim Morrison in „The End“, d. h., er sang „The west is the best“, aber wir haben's falsch verstanden. Der Verhörer ist nicht so elegant wie „The girl with colitis goes by“ (statt „with kaleidoscope eyes“, in „Lucy in the Sky with Diamonds“) oder „The ants are my friends“ (statt „The answer, my friend“, in „Blowing in the Wind“), aber er hat etwas. Wasp ist ja auch das Akronym für White Anglo-Saxon Protestants, was zu Morrisons Songtitel „The Wasp (Texas Radio And the Big Beat)“ und zu seiner Gedichtzeile „within a white free protestant maelstrom“ passt.

Ist die Wespe die beste? Wohl eher nicht. Die Biene (die die Systematiker verwirrenderweise zu den Taillenwespen zählen) genießt mehr Sympathie, wir hören sie possierlich summen, aber die Wespe garstig sirren, tückischerweise so leise, dass man sie unterm Plaudern gar nicht hört. Die Biene bestäubt bunte Blumen, die Wespe höchstens braune, grünliche und weißliche. Die Biene macht Honig, die Wespe tut nichts für die Lebensmittelindustrie. Die Biene sticht nur ein Mal, die Wespe sticht sogar noch, wenn sie eigentlich schon tot ist. Die Biene sieht gutmütig drein, die Wespe gemein, wie Darth Vader. Ihre vielgerühmte Taille war Vorbild für ungesunde Modetorheiten. Und sie will den Colatrinkern ihr Cola wegtrinken! Cola light rührt sie dagegen nicht an, sie hat also einen schlechten Geschmack und müsste, auch aufgrund ihrer Mehlspeisensucht, an Diabetes Typ 2 erkranken, wenn sie Insulin im Leibe hätte respektive wenn die Welt gerecht wäre.

Die Welt ist nicht gerecht. Auch nicht zur Wespe, weder zur Gemeinen Wespe (Vespa vulgaris) noch zur Deutschen Wespe (Vespa germanica) noch zur selteneren Österreichischen Kuckuckswespe (Vespula austriaca), die sich als Sozialparasitin der vorbildlich friedfertigen Roten Wespe freilich auf besondere Weise um ihren schlechten Ruf kümmert.

Die Gemeine Wespe tut das vor allem durch hektisches, rüpelhaftes Betragen und Auftreten in Gruppen, worauf der Homo sapiens vulgaris von Plage spricht und von Zoologen via Austria Presse Agentur wegen dieser persönlichen und unsachlichen Empfindung gerügt wird.
Die Tanten und Onkel, vor allem die feinen, rügen indessen die Kinder, wenn diese „Wepse“ sagen, was genauso als Indiz für schlechten Umgang gilt wie übermäßige Verwendung der Anrede „Alter“. Dabei ist „Wepse“ – wie früher das von Volksschullehrern verfolgte „dorten“ – ein Beispiel für sprachlichen Konservativismus.

Im Mittelhochdeutschen hieß es noch „Wefse“, im Altsächsischen „Wepsia“. Dieses Vertauschen der Konsonanten im Lauf der Sprachentwicklung nennt man Metathese, andere Beispiele sind Born/Brunnen, Ross/Horse, Dritter/Third, Brennen/Burn, und auch wer Ressigeur statt Regisseur sagt, betätigt sich metathetisch. Angeblich folgt die Entwicklung der oralen Bequemlichkeit, Wespe soll sich einfacher sprechen als Wepse.

Achtung: Wer Wepsisch spricht, wird von keinen Hautflüglern verstanden, sondern von Menschen in Nordwestrussland, den Wepsen, die eine finnougrische Sprache sprechen, in der es 24 Fälle gibt. Noch, denn sie ist vom Aussterben bedroht.

Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2015)

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