Wir sind alle Baumeister, und wir sind alle bei uns, oder?

Im französischen Wahlkampf heißt es jetzt „Oui, on peut“ – mit diesem seltsamen Personalpronomen, das längst für die erste Person Plural steht.

„Oui, on peut“: Mit diesem Slogan wirbt derzeit Emmanuel Macron, Kandidat für die Präsidentschaft in Frankreich. Klar, woran er sich anlehnt: an Barack Obamas Slogan „Yes, we can“. Angela Merkel hat ihn mit „Wir schaffen das“ übersetzt: Das sei die Variation eines DDR-Plakatspruchs, höhnte „Welt“-Kommentator Henryk Broder. Freundlicher kann man den TV-Comichelden der Serie „Bob the Builder“ als Vorbild sehen: Auf Deutsch heißt er Bob der Baumeister und sagt: „Yo, wir schaffen das.“ Es gibt ihn natürlich auch auf Französisch: Bob le bricoleur ruft „Oui, on peut“, genau wie Macron.

Soweit passt alles. Doch wer Französisch nicht mit der Muttermilch eingesogen hat, mag fragen: Warum nicht „Oui, nous pouvons“? Weil es rhythmisch nicht geht, klar. Aber es ist doch auffällig, wie konsequent die erste Person Plural im Französischen durch die dritte Person Singular mit dem Personalpronomen „on“ ersetzt wird. Und zwar seit Langem: Schon in „En attendant Godot“ sagt Vladimir „Mais oui, mais oui, on est des magiciens“, wo er in „Warten auf Godot“ (genauso ungeduldig) „Ja, ja, wir sind Zauberer“ sagt.

Dieses „on“ ist eine Schwundform von „homme“ – analog zum deutschen „man“, dem aber ganz offenbar keine Karriere im Plural bevorsteht. Eher wird es immer öfter ohne Grund statt „er“ oder „sie“ verwendet: Dieser modische Manierismus kann die Lesbarkeit ziemlich stören.

Halt! Es gibt schon Fälle, wo es Pluralbedeutung hat. Wenn man sich zum Beispiel von jemandem verabschiedet, den man nicht wirklich bald wiedersehen will, tut ein tonarmes „Man sieht sich“ gute Dienste. „Wir sehen uns“ ist auch nicht gerade herzlich, aber eben doch persönlicher.

Empfinden Französischsprachige noch einen ähnlichen Unterschied? Wenn Macron „Oui, nous pouvons“ sagen würde, klänge ihnen das übertrieben formell und/oder pathetisch? Immerhin sagt er z. B. „Nous pouvons retrouver de l'espérance“ (Wir können die Hoffnung wiederentdecken), und seine Gegnerin, die rechtsextreme Marine Le Pen, sagt: „Nous pouvons gagner“ (Wir können gewinnen). Sie sagt auch „Vous avez le droit d'aimer votre pays“ (Ihr habt das Recht, euer Land zu lieben), worauf die Menge ihr mit Sprechchören antwortet: „On est chez nous.“

Was für eine seltsame Bildung: „Man ist bei uns“ für „Wir sind bei uns“. Klingt das nicht nach dem Bewusstsein, dass das massenhafte Wir stets davon bedroht ist, in Individuen zu zerfallen? Schön wär's, sagt einer, dem kollektive Bekenntnisse im Chor nicht ganz geheuer sind.

E-Mails an:thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2017)

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