Nein, es ist nicht „ziemlich egal“, wie man lebt

„Mit etwas Glück sterben Sie 2012 als Erster“, sagte ein Plakat. Eine Einrichtung der Sterbebegleitung hat einen noch bedenklicheren Spruch.

Bruegels „Jäger im Schnee“ kann ich nicht mehr sehen, Wagners Vorspiel zu „Tristan und Isolde“ nicht mehr hören, ohne an den Weltuntergang zu denken: So beginnt mein Jahr 2012, schuld ist der teuflische Lars von Trier, der beide Werke in seinem Film mit der fatalen Annäherung eines Planeten namens „Melancholia“ verknüpft hat. Wie soll man da dem heurigen Leitgedanken unseres Feuilletons – „Trotz allem: Optimismus!“ – treu bleiben?

Zum Hintertreiben dieses Gedankens beigetragen hat auch die Buchhandelskette „Thalia“ – mit einem Plakat, das den Slogan „Mit etwas Glück sterben Sie 2012 als Erster“ trug. In Klammer stand „Der wahre Horror beginnt danach“, der Werberat hat dagegen protestiert, das Plakat habe ich seit Neujahr nicht mehr gesehen, vergessen kann ich es so bald nicht.

In dieselbe Kerbe der Seele schlägt, ebenfalls via Plakat, die menschliche, wichtige, löbliche Institution „Hospiz Rennweg“. Ihr Spruch lautet: „Es ist ziemlich egal, wie man lebt. Aber nicht egal, wie man stirbt.“

Eine seltsame, bedenkliche Aussage. Die eine tiefe Frage notwendigerweise nach sich zieht: Wofür soll es nicht egal sein, wie man stirbt? Es gibt da zwei Möglichkeiten. Entweder man glaubt nicht an ein Leben nach dem Tod: Dann ist der Modus des Sterbens im Weiteren egal, einfach weil nichts mehr kommt, das er verändern könnte. Der „schöne Tod“, wenn es denn einen geben mag, ist für den unmittelbar Betroffenen schnell vorbei; und auch die „schöne Leiche“ kann er selbst nicht mehr würdigen.

Oder man glaubt an ein Jenseits. Dann glaubt man aber wohl weniger daran, dass dessen Ausformung davon abhängt, wie man gestorben ist, sondern eher davon, wie man gelebt hat. Selbst bei Karl May – dessen 100.Todestag wir heuer begehen – bekehrt sich Winnetou noch vor seinem Tod zum Christentum.

Gewiss, ein alter christlicher Refrain sagt: Mitten im Leben sind wir im Tod. Daraus kann man aber nicht folgern, dass es „ziemlich egal“ sei, wie man lebt. Auch nicht im Jahr 2012, das die meisten von uns übrigens überleben werden.

Beeindruckend ist die visuelle Gestaltung des Plakats: ein Friedhof, daneben eine Skyline aus Hochhäusern, die den Grabsteinen ganz ähnlich sind, grau, glatt, leblos. Man erinnert sich an das Jesuswort „Lasst die Toten ihre Toten begraben“ (Mt. 8, 22; Lk. 9, 60) und denkt sich: Nein, es ist nicht egal, wie man lebt. Es ist auch nicht egal, wie man wohnt. „See that my grave is kept clean“, heißt es im Blues. Wohl gesprochen, zuerst aber müssen wir unseren Garten bestellen.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2012)

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