Der Krieg wird nur noch erklärt und dann abgesagt

Die Briten haben es vorgemacht: Das Parlament war gegen einen Militäreinsatz in Syrien. Die Legislative besiegte die Exekutive.

In der Gegengift-Kompanie, die zuweilen zu verbaler Gewalt neigt, vor allem vor Blattschluss, gibt es eine alte Geheimformel aus zarteren Zeiten, die sich zur Schlichtung von internen Konflikten immer wieder eignet: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin!“ Die Idee stammt nicht, wie manchmal behauptet wird, von Bertolt Brecht, sondern vom US-Dichter Carl Sandburg: „Sometime they'll give a war and nobody will come“, war für einen Mann aus Illinois 1936 wahrscheinlich eine kühne Fantasie, selbst wenn sie nur in einem braven Gedicht stand.

An diesen Satz muss neulich wohl auch Premierminister David Cameron von den an sich wehrfähigen Tories gedacht haben, als er im Unterhaus über einen Einsatz des britischen Militärs im syrischen Bürgerkrieg abstimmen ließ – und prompt verlor. Die Mehrheit befand: Tommys müssen diesmal draußen bleiben. Cameron wird sich vorgekommen sein wie in einem Sketch der Komödianten von Monty Python. Da lässt ein Unteroffizier seinen Soldaten die freie Wahl, ob sie an diesem Tag exerzieren. Sie haben alle etwas Besseres vor. Schließlich schreitet der Ausbildner ganz allein zackig über den Paradeplatz.

Irritiert wird nun in der stolzen konservativen Wochenzeitung The Spectator gefragt, wohin man denn käme, wenn heutzutage nicht einmal mehr die Spitze der Exekutive einen Krieg führen dürfe. Wozu sei sie dann überhaupt zu gebrauchen? Süffisant merkt das Blatt an, dass auch US-Präsident Barack Obama vor demselben Dilemma stehe. Er fragt erst den Kongress, bevor er vielleicht Raketen nach Syrien schickt.

Eine an sich noch immer robuste Koalitionsregierung wurde in ihren Entscheidungen vom Parlament in der wesentlichen Frage von Krieg und Frieden überstimmt. Diese Stärkung der Legislative ist für die demokratische Basis und für Pazifisten erfreulich. Man stelle sich vor: Vor hundert Jahren hätten die Kaiser, Präsidenten und Kanzler beschlossen, dass die Völker bis weit hinten in der Türkei aufeinanderschlagen. Aber die Abgeordneten als wahre Vertreter des Volkes hätten gesagt: „Interessanter Ansatz! Aber 1914 passt es uns nicht mit einem kurzen Waffengang im Herbst, da müssen wir erst die Budgetsanierung diskutieren, dann die Verwaltungsreform – und außerdem, wo liegt denn eigentlich dieses Sarajewo?“

Die Pflugscharen-Händler im Gegengift sind schon viel weiter als sogar die zaudernden Herren Obama und Cameron, fordern eine UN-Resolution für die korrekte Abwicklung von Militäraktionen: Kriege, und mögen sie auch notwendige Interventionen genannt werden, sind nur nach einer Volksabstimmung möglich. Außerdem sind, wenn es tatsächlich zum Äußersten kommt, die Ladenöffnungszeiten und die gesetzlichen Feiertage zu berücksichtigen. Selbstverständlich muss auch die Sozialpartnerschaft zustimmen.

Wie schön wäre das Leben ohne zu viel Exekutivgewalt! „Stellt euch vor, eine Große Koalition will in den Krieg, aber die Protestwähler sind stärker.“

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2013)

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