Das Drama, die Trunksucht und der reine Poet

Jon Fosse will keine Stücke mehr schreiben. Schade! Doch die Begründung des Norwegers klingt interessant.

Was macht eigentlich der norwegische Autor Jon Fosse, der hier in der Nähe an der slowakischen Grenze leben soll? Für jene, die sich wunderten, dass es still um den 55-Jährigen geworden ist, dessen Stoffe oft Schwermut vermitteln, gibt es nun eine schlüssige Erklärung der medialen Enthaltsamkeit. In der Tageszeitung „Bergens Tidende“ verkündete Fosse, dass er sich von der Bühne zurückgezogen habe. Alle Auftragswerke seien erfüllt, er werde nun keine Dramen mehr schreiben.

Die Botschaft schmerzt, doch sie ist verständlich. In nicht einmal zwanzig Jahren hat Herr Fosse mehr als drei Dutzend Stücke geschrieben, die auf allen Kontinenten aufgeführt werden. Er war für die Bühne zumindest hinsichtlich des Outputs produktiver als William Shakespeare. Allein das grenzt an Lästerung. Interessant sind die Begründungen des Dichters fürs Aufhören. An sich sei er Lyriker. Das macht ihn sympathisch. Fosse will nun auch wieder „langsame Prosa“ schreiben. Ein Hoffnungszeichen. Fürs hektische Theater aber sind die Aussagen in dem Blatt aus Hordaland ernüchternd. Offenbar hat der Druck der Premieren den Dramatiker genauso fertiggemacht wie die öffentlichen Vorträge. Diesem Zirkus will er sich ebenfalls verweigern. Vorlesen habe bei ihm immer Panik erzeugt, nie sei er nüchtern vors Publikum getreten. Und ja, auch mit dem Trinken sei jetzt Schluss.

Dieser Vorsatz macht mich ratlos. Sollte man Premieren moderner Stücke als Kritiker denn auch in betrunkenem oder wenigstens in angeheitertem Zustand erleben? Dann hatte ich bisher den falschen Ansatz. Die jüngste Beichte des Genius aus dem Norden macht die Versuchung zur Gelassenheit nicht unbedingt kleiner.

Zum Nachdenken bringt mich auch eine sehr persönliche Bemerkung des zur Mystik neigenden Dichters in der Fachzeitschrift „Syn og Segn“ im Herbst 2013. Fosse, der in einer Kommune in Hardanger aufgewachsen war, trat aus der lutherischen Staatskirche aus, um Quäker zu werden, fand dies aber schließlich zu sektiererisch. Er konvertierte zur größeren katholischen Kirche: „Einem ungeselligen Typen wie mir fällt es leichter, im Wiener Stephansdom einer von vielen zu sein als einer von vier in einem Quäkerzirkel“, zitiert ihn die „Neue Zürcher Zeitung“.

Solch ein Schritt ist für Norweger ungewöhnlich, aber mich beunruhigt ein anderer Aspekt. Könnte die dramatische Entsagung damit zusammenhängen, dass Fosse katholisch wurde? Fördert die Kirche in Rom also die Feindschaft gegen weltliche Bühnen? Ich hoffe nicht und kann zur Beruhigung nur anführen, dass der jetzige Papst ein fröhlicher Jesuit ist. Sein Orden hat das schönste Welttheater erfunden, bei dem man keinen Messwein braucht, um berauscht zu sein.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2014)

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