Das Binnen-I bleibt außerhalb der ÖNORM

Zum geschlechtersensiblen Umgang mit Sprache gibt es keinen Konsens. Schlechte Zeiten auch fürs Ö.

Öha! So überrascht reagierte die Schreibkommission des „Gegengifts“ im Morgengrauen des Donnerstags, als sie folgende Botschaft von Austrian Standards erreichte: Der geschlechtersensible Umgang mit Sprache wird auch künftig nicht per ÖNORM (A1080: Richtlinien für die Textgestaltung) geregelt. Auf gut Deutsch: Das Binnen-I bleibt im sächlichen Normungsinstitut weiterhin Wildwuchs, dort findet es derzeit keinen Unterschlupf.

Ein erbitterter Streit war dieser Entscheidung vorausgegangen, von „zweifelhaften politischen Zielen“ war die Rede. Keine Einigung schien absehbar. Ein Normprojekt sei aber „grundsätzlich nur dann möglich, wenn dazu ein breiter Konsens erzielbar ist“, erklärte schließlich die Direktorin von Austrian Standards, Elisabeth Stampfl-Blaha. Dagegen sei „stark der Wunsch erkennbar gewesen, zu diesem Thema keine normative Empfehlung zu entwickeln“.

Für mich ist das ein ganz persönlicher Rückschlag. Seit vor 33 Jahren das I mitten im Wort aufgetaucht ist, habe ich an einer Parallelaktion gearbeitet. Damals wuchs in Deutschland dieser schmale Buchstabe erstmals im Wort „HörerInnen“ zu voller Größe und pflanzte sich rasch über die Landesgrenzen fort. EI, dachte ich, wenn das mit dem eleganten I geht, warum nicht auch mit dem prallen Ö? Landeshauptmänner/-frauen/etc. müssten doch begeistert sein, wenn sie plötzlich über ein größeres NiederÖsterreich oder gar das abgerundete OberÖsterreich herrschen dürften. Das Ö inmitten darf niemals klein sein, lautete unser patriotisch-matriarchaler Wahlspruch.

Die Niederlage des Binnen-I bei der ÖNORM bedeutet wahrscheinlich auch das Ende des für dieses Land viel dringenderen Binnen-Ö.

Für das Gendern ist diese Abfuhr allerdings nur ein kurzer Stopp beim langen Marsch durch die Institutionen. Den KollegInnen sei aus Erfahrung gesagt: Normative Grammatik wäre ohnedies der falsche Ansatz. Wahrhaft vom Wunder der Sprache getriebene PhonologInnen, LexikologInnen, SyntaktikerInnen und SemantikerInnen lassen sich nicht nur von (wahrscheinlich stets ideologisch motivierten oder ohnehin dubiosen) grammatikalischen Vorschriften leiten, sondern werfen sich in den Gebrauch der Sprache hinein. Sie schauen dem Volk aufs Maul und schreiben auf, was sie hÖren.

Bei genügend kritischer Masse stellt die Norm von selbst sich ein. Wer das Binnen-I als Zeichen der Differenz haben will, muss es einfach verwenden. Erst wenn der/die letzte Macho/a gefallen ist und sich lustvoll allen Geschlechtern hingibt, wird man merken, dass man so ein I oder Ö gar nicht mehr braucht.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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